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Testbericht

Stefan Grundhoff, 12. Mai 2016
Youngtimer liegen nicht nur in Deutschland voll im Trend. Ein kalifornischer Autonarr hat vor Jahren seine Liebe für höchst gewöhnliche Mercedes-Klassiker entdeckt. Seither möbelt der ehemalige Immobilienmakler Allerweltsmodelle aus den 70er und 80er Jahren wieder auf - die Warteliste wird immer länger.

Die Zeiten, in denen J. G Francis seine Brötchen mit dem Verkauf von Immobilien verdient hat, sind schon ein paar Jahre vorbei. "Ich war lange Jahre in Costa Mesa, einer der exklusivsten Gegenden im Orange County im Immobiliengeschäft tätig", blickt der Mittvierziger mit zerzausten Haaren und dem Fünf-Tage-Bart zurück. Er brauchte eine Auszeit, machte ein halbes Jahr gar nichts und sah immer wieder die zahllosen europäischen Oldtimer aus den 70er und 80er Jahren auf den Straßen. Lust auf Autos hatte er seit seiner Kindheit, wo er in Nevada immer wieder beim Nachbarn vorbeischaute, der bevorzugt an europäischen Autos herumdokterte. Wieso es nicht selbst einmal versuchen? Mehr oder weniger über Nacht war die Idee zu Mercedes Motoring geboren. "Es war eher ein Zufall, dass ich von den 700 Dollar, die ich hatte, im Jahre 2003 einen Mercedes 300 SD gekauft habe", erinnert sich Francis, "wochenlang habe ich an dem 300er herumgebastelt, ehe er wieder vernünftig gelaufen ist und das Gurtschloss hat mich fast umgebracht."

In der engen Garage in einem gesichtslosen Gewerbegebiet von Glendale, eine halbe Stunde nördlich von Los Angeles, stehen in erster Linie Daimler-Alltagsmodelle der Baujahre 1968 bis 1985. Von außen ist das klassische Sternen-Mekka kaum zu erkennen. Mercedes Motoring verzichtet auf Schriftzüge oder große Reklame; eine schnöde Radkappe an der roten Backsteinfassade muss reichen. Insbesondere die Baureihen W 108, W123 und R 107 können sich vor Nachfrage kaum retten. "Besonders begehrt sind natürlich die Roadster", blickt J.G. auf zwei Modelle aus den späten 80er Jahren, "die kosten beide jeweils knapp 40.000 Dollar. Immer mehr Kunden wollen mittlerweile die 123er-Baureihe, eine alte S-Klasse oder einen Strich-Achter."

J.G. Francis selbst fährt aktuell einen 250er der W 123er-Klasse. "Ich habe aber einen 280-E-Motor verbaut. Der läuft viel besser", sagt er nüchtern. Trotzdem geht es den meisten Kunden im eine größtmögliche Originalität, die sie gerne teuer bezahlen. Schließlich sind die Modelle nachher beinahe im Neuzustand. Dafür werden die Sternenmodelle komplett auseinandergenommen und danach mit überholter Technik und neuem oder aufgefrischten Interieur versehen. In den späten 70ern und frühen 80ern verkaufte Mercedes nicht nur im US-Bundesstaat Kalifornien hauptsächlich Turbodiesel, die wegen der bereits damals strengen Schadstoffvorschriften mit einem einfachen Partikelfilter ausgerüstet waren. Allerweltsautos von damals wie den Mercedes 300 TDT, 250er oder das beliebte Luxusmodell 300 SDL stehen heute in der Gunst der Kunden ganz oben.

J.G. Francis und seine Mitstreiter kommen mit der Restauration von Mercedes Oldtimern ohnehin nicht hinterher. Sie sind mehr Künstler und Bewahrer statt gewöhnlicher Autobastler. "Viele Wagen sind bereits verkauft, bevor wir mit der eigentlichen Arbeit angefangen haben. Der Markt wird immer verrückter", erzählt Firmengrüner J.G. Francis, "das macht es für uns auch immer aufwendiger, als Klassiker zu kommen. Doch zum Glück ist der Bestand groß genug." Das Geschäft selbst hat nicht viel mit einer normalen Werkstatt gemein. Das Büro sieht aus wie ein trendiges Szeneloft mit drei prall gefüllten Arbeitsplätzen, Nierentischen und Sesseln aus den 50er Jahren. Überall liegen historische Poster, vergilbte Bedienhandbücher und Kleinteile herum. Die überdimensionale Ausführung eines Setzkastens treibt nicht nur fanatischen Sternenjüngern die Tränen in die Augen. Hier liegen lagern nur auf den ersten Blick unbeachtet Türpins, Haltegriffe, Radkappen und Montageanleitungen. Gleich nebenan stapeln sich übereinander Dutzende alter Becker Radios vom Europa über das Coburg bis hin zum legendären Grand Prix. Eine echte Schau sind die Schlüsseletuis und die Kühlerplaketten, die die Gittergrille von Fahrzeugen aus der ganzen Welt verziert haben. Das Hochregallager beheimatet Sitze, Türverkleidungen und Teppiche.

In der Werkstatt selbst stehen die Fahrzeuge derart dicht an dicht, dass sie per Hand nach vorne gezogen werden müssen. Bald steht ein Umzug an. Das rechte Objekt steht jedoch noch nicht fest. Gerade zieht J.G. ein spätes Strich-Achter-Coupé in blassem grün nach vorn und schaut sich den Innenraum an. Er sieht aus wie neu. Die Sitze wurden von seinen Mitarbeitern komplett neu bezogen und der Wagen hat nicht einmal 90.000 Meilen auf der Uhr. "Die meisten Wagen die ich kaufe, liegen unter 100.000 Meilen", erklärt er während er den betagten Zweitürer vorsichtig zurückschiebt, "eine Laufleistung kann man eben nie wieder zurückholen. Und wenn möglich, kaufe ich keine Oldtimer mit gerissenem Armaturenbrett. Die Ersatzteile gibt es oft nicht mehr und wenn, dann sind sie wahnsinnig teuer."

So unscheinbar viele der Modelle in der Garage auch erscheinen; günstig ist hier nichts. Der silberne Mercedes 300 D aus dem Jahre 1978 hat gerade einmal 43.704 Kilometer gelaufen. Die Innenausstattung ist aus MB-Tex und neben Zentralverriegelung gibt es an Komfortdetails nur elektrische Fensterheber und eine elektrische Antenne. Preis: stattliche 35.000 Dollar. Weitere rund 30 Fahrzeuge hat Mercedes Motoring in den verschiedensten Restaurierungszuständen vorrätig. Früher normale Alltagsautos für die, denen ein Chevy Malibu oder ein Ford Galaxie zu amerikanisch waren - heute sind die Sternenmodelle echte Traumwagen für die meist 40- bis 50jährigen Interessenten auf der Suche nach automobilen Erinnerungen. Die meisten Fahrzeuge verkauft Mercedes Motoring in den USA. "Doch immer wieder gehen auch Autos nach Europa, Asien oder neulich auch nach Bahrain", sagt der Self-made-Mercedes-Mann, "die Nachfrage wird immer größer - gerade beim 123er." Entsprechend weit muss er durch die USA reisen, um die Klassiker nach Glendale zu holen. Die Kunden scharren bereits mit den Hufen, um sich ein Stück ihrer Kindheit in die eigene Einfahrt zu holen.

Quelle: Autoplenum, 2016-05-12

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