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Testbericht

Stefan Grundhoff, 21. Juni 2016
Dem gesichtslosen Bürogebäude würde man selbst im gut betuchten Irvine keine Millionenwerte im Innern zutrauen. Doch renommierte Autosammler bekommen beim Besuch des Mercedes Classic Centers feuchte Hände und weiche Knie.

Eine dreiviertel Stunde südlich von Los Angeles, dort wo sich die mächtigen Highways 5 und 405 treffen, geht es geschäftsmäßig zu. Irvine ist in den vergangenen Jahrzehnten eine wohl betuchte Büroenklave geworden und so drücken sich am nahe gelegenen John Wayne Airport im nördlichen Orange County vorrangig Geschäftsflieger in den sonnigen Himmel Kaliforniens. Nur ein paar Meilen entfernt liegen mit den Agglomerationen von Costa Mesa, Newport Beach, Corona del Mar oder Laguna Beach einige der reichsten Gemeinden der USA. Nirgends ist im Land der unbegrenzten Automöglichkeiten die Dichte von Oldtimern größer als zwischen Los Angeles und San Diego. Ein Flügeltürer an der morgendlichen Straßenecke ist ebenso normal wie ein aus dem Ei gepellter Porsche 930 Turbo, dessen Besitzerin augenscheinlich gerade aus dem Gym kommt.

Vor rund zehn Jahren platzierte die Daimler-Konzernführung in Irvine mit dem Classic Center eine historische Oldtimerwerkstatt, die schnell Weltruf erlangte. Sicher, ein Daimler\\\'sches Classic Center gibt es auch im heimatlichen Fellbach und auch die Konkurrenz von Porsche, BMW, Jaguar Land Rover oder Ferrari hat an den heimatlichen Stützpunkten seit Jahren renommierte Klassikschmieden, wo millionenschwere Oldtimer wieder repräsentativ auf Vordermann gebracht werden. Doch diese Dichte an rollenden Zeitzeugen vergangener Tage gibt es eben nirgends anders auf der Welt und so stehen finanzstarken Kunden seit 2007 Schlange in Irvine und bringen ihre historischen Lieblinge zu Durchsicht, Instandsetzung oder Komplettrestauration ins Classic Center unter der Führung von Michael Kunz.

So unscheinbar sich der Bau von außen präsentiert: hinter den verspiegelten Glasscheiben gehen selbst erfahrenen Klassikfetischisten die Augen über. Hier ein Desk und dort ein paar Mercedes-Devotionalien - doch ein paar Meter weiter erstrahlt ein schwarzer Mercedes 300 D Adenauer im Neuzustand. Kennzeichen: 1961. Gleich daneben: ein weißer 300er Roadster, ein knallroter Mercedes CLK 63 AMG Black Series, ein Flügeltürer und der naturgetreue Nachbau des Dreirades von Bertha Benz. Mit einem schwachen Autogemüt sollte man um das Classic Center guten Gewissens einen Bogen machen. Denn im Ausstellungsraum selbst stehen nur die Fahrzeuge, die verkauft werden sollen.

Und vorne geht es durchaus weniger imposant als hinter den unscheinbaren grauen Stahltüren zu, die einen in die heilige Werkstatt tragen. Michael Kunz leitet das Classic Center seit seiner offiziellen Eröffnung: "Das Ganze hier hat sich prächtig entwickelt. Auch wir wussten damals natürlich nicht, ob die Kunden unser Angebot annehmen würden." Sie nahmen - aus den ganzen USA kommen seither Fahrzeuge in die Region Orange County. Die einen bringen einen Flügeltürer zur Inspektion, andere lassen eine Beule am 107er SL instandsetzen und ein anderer sucht den passenden Retro-Roadster als Geburtstagsgeschenk für seine Frau.

"Wir machen hier all das, was wir auch in Stuttgart im Classic Center machen können", erklärt Michael Kunz, "nur eben etwas kleiner." Kleiner ja - aber der Durchlauf an Fahrzeugen ist mächtig. Auf Hebebühnen und im Hochregallager stapeln sich die Klassiker mit dem Stern dicht an dicht. 300 SL Roadster, 129er-Baureihe, Flachkühler, CLK, 190er Rennversion, gleich noch zwei SL, ein Flügeltürer und zwei Limousinen der 123er-Baureihe. "Die erfreuen sich einer immer größeren Nachfrage", sagt Kunz und öffnet die Tür des 300 D. Sein Zustand ist mit erst ein paar tausend Meilen auf dem Tacho wie fast alles hier im Regallager: perfekt.

Rund die Hälfte des Umsatzes macht das Classic Center mit dem Teileverkauf. Mehr als 40.000 Ersatzteile liegen im Lager bereit. Werden andere Komponenten gebraucht, werden die innerhalb von 48 Stunden aus Stuttgart angeliefert. "Meistens kommen die Kunden mit größeren Instandsetzungen zu uns. Solchen Sachen, die in den Mercedes-Filialen nicht mehr gemacht werden können", erklärt Chefmechaniker Nate Landers, "gelernt habe ich meinen Job bei einem neunmonatigen Lehrgang in Stuttgart. Vorher habe ich ein paar Jahre Autorestaurierung studiert. Privat fahre ich eine Heckflosse." Gerade erst wurde im Classic Center ein Adenauer-Pärchen aus 300 d Cabrio und Limousine instandgesetzt. "Von dem Adenauer Cabriolet wurden gerade einmal 65 Stück gebaut. Wie viele es noch gibt, wissen wir nicht genau. Viele sind es aber sicher nicht", erklärt Mike Kunz, "die Restaurierung dauerte rund vier Jahre. Parallel dazu haben wir eine 300er Limousine instandgesetzt und dabei viel über die Baureihen gelernt."

Der offene Mercedes 300 ist ein Zeitzeichen der späten 50er Jahre und damit ein Zeuge einer aufstrebenden Bundesrepublik, die alles andere wollte, als mit einer imposanten Staatslimousine nach außen hin die Muskeln spielen zu lassen. Der Zweite Weltkrieg lag gerade erst einige Jahre zurück, als Mitte der 50er Jahre die Entscheidung für den Mercedes 300 gefällt wurde. Die enge Ableitung von der 300er Limousine ist dem offenen Beau nicht nur durch seine bauchig-organischen Formen anzusehen. Das Cabriolet der W 189 Serie behielt seine vier Türen - bis heute in der Daimler‘schen Nachkriegsgeschichte einmalig. Seine enge technische Verwandtschaft mit dem spektakulären Flügeltürer des Mercedes 300 SL sieht man dem 5,19 Meter langen Luxusmodell nicht einmal auf den zweiten Blick an. Sein heutiger Wert: eine Million Dollar. 37.000 D-Mark kostete er inklusiv Automatikgetriebe Ende 1958 in Deutschland.

Doch jetzt steht erst einmal eine Autoauslieferung an. Der blaue Mercedes 190 SL ist fertig. Autosammler Aaron Weiss konnte sich jahrzehntelang ausschließlich für amerikanische 16-Zylindermodelle von Marmon und Cadillac begeistern. Doch immer mehr Mercedes-Modelle bevölkern seine spektakuläre Sammlung im nördlich gelegenen Pasadena. Gleich in der Nebenhalle seiner Privatsammlung stehen neben den majestätischen 16-Zylinder-Schachtschiffen inklusiv des legendären Marmon Sixteen von 1932 erste Daimler-Modelle. Hier ein Mercedes 380 SLC, dort eine Pagode und auf der Bühne die neue Liebe des Kaliforniers: ein Mercedes 290 Cabrio A von 1936. "Wir bringen es gerade in den Originalzustand. Es kommt aus Wiesbaden. Der Vorbesitzer hat wegen der kühlen Temperaturen dort sogar eine Sitzheizung eingebaut", schüttelt Weiss den Kopf. In ein paar Wochen soll das grüne Prachtstück fertig sein. Bis dahin erfreut er sich an seinen frisch restaurierten Mercedes 190 SL, den Kunz persönlich vorbeibringt. "Ein tolles Cabriolet", sagt Aaron Weiss nüchtern, als der blaue 190er in seine Halle gefahren wird, "es gibt eine einfache Regel: when the top gets down - the price gets up. Ich liebe Cabrios."

Quelle: Autoplenum, 2016-06-21

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