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Testbericht

Michael Kirchberger/SP-X, 25. Oktober 2012

Sao Paolo/SPX. Dass VW eine Billigmarke aufstellen will, um damit dem Druck der koreanischen Hersteller zu verringern und Konkurrenten wie Dacia den Kampf anzusagen, ist beschlossene Sache. Wie das jüngste Konzernkind heißen wird, ist noch unklar, traditionelle Namen wie DKW oder NSU scheiden sicher aus, nicht nur weil sie in den meisten relevanten Exportländern nahezu unbekannt sind. Ebenso unklar ist, woher die Produkte, die einzelnen Modelle dieses VW-Ablegers kommen sollen.

In Frage kämen nur Fertigungsstätten in Ländern, deren Lohniveau deutlich unter dem in Europa liegt. Selbst Tschechien scheidet aus. Indien, China oder Südamerika böten sich an. In allen drei Staaten gibt es bereits VW-Fabriken, in allen drei verdienen die Arbeiter deutlich weniger als zehn Euro in der Stunde.

Aber warum nehmen die VW-Chefs nicht einfach bestehende Modelle, um das anvisierte Preisspektrum von 6.000 bis 10.000 Euro zu erreichen? Den Lavida zum Beispiel, einen in China produzierten VW, dem Jetta nicht unähnlich. Oder den VW Gol aus Brasilien, der dort seit mehr als zwanzig Jahren die Zulassungsstatistiken des Landes als Bestseller anführt und zwischen Polo und Golf positioniert ist. Wer Letzteren zumindest mit seinem Vorbild aus Deutschland vergleicht, bemerkt schnell, warum das nicht funktionieren würde.

Der Gol wird von VW do Brasil im Werk Anchieta, nahe der Stadt Sao Paolo produziert, in diesem Frühjahr ging seine jüngste Neuauflage an den Start, die zweitürige Version folgt in diesen Wochen. Formal ist er ein echter Volkswagen. Das klare Gesicht, die geraden Linien, ebene Flächen, eindeutig ein Familienmitglied mit Wolfsburger Wurzeln. Innen das gleiche Spiel, die Formensprache ist uns geläufig. Erst der zweite Blick offenbart die feinen Unterschiede. Verstellbares Lenkrad? Fehlanzeige. ESP oder wenigstens ABS? Nicht im Basismodell, das immerhin 10.600 Euro kostet, rund 27.500 brasilianische Real.

Dafür hat der Gol andere Qualitäten, auf die Egon Feichter hinweist. Er ist stellvertretender Entwicklungschef bei VW do Brasil und kennt das Land seit Jahren. „Die Straßen in Brasilien sind nicht im besten Zustand“, begründet er die solide Ausführung des Fahrwerks. Zwar hat das Land, das rund zwei Drittel des Kontinents ausmacht, mit fast zwei Millionen Kilometern das zweitgrößte Straßennetz der Welt, asphaltiert sind davon allerdings nur rund 200.000 Kilometer. Es liegt in tropischen Gefilden, die Klimaanlage muss auf Dauerbetrieb ausgelegt sein. Und die heftigen Regenfälle, die oft zu Überflutungen von Straßen führen, verlangen eine ausgeprägt Wattiefe, vor allem aber zuverlässige Türdichtungen. Damit der Motor keinen Schaden nimmt oder der Fahrer nasse Füße bekommt. Alles Eigenschaften, die zumindest in dieser Ausprägung bei uns nicht gefordert sind.

Der Gol fährt sich anständig. Die Lenkung funktioniert ebenso präzise wie die Schaltung des Fünfganggetriebes, eine Servolenkung kostet jedoch Aufpreis. Die Einliter-Vierzylinder-Ottomaschine, die als Total-Flex-Aggregat Benzin oder Ethanol gleichermaßen konsumieren kann, leistet 53kw/72 PS 56 kW/76 PS, je nachdem, welcher Treibstoff gerade im Tank ist. Der Energiegehalt von Ethanol ist um etwa 70 Prozent geringer als der von Benzin, der Verbrauch demnach höher. Die Autofahrer in Brasilien, die allesamt mit Flex-Fuel-Fahrzeugen unterwegs sind, müssen immer rechnen, ab wann sich das Tanken von Ethanol lohnt, die Preise schwanken. Vor allem deshalb, weil der Zuckerpreis am Weltmarkt in großer Höhe kreist und die Zuckerrohr-Farmer ihre Ware lieber zum süßenden Lebensmittel verarbeiten, als darauf Treibstoff zu raffinieren.

Der geringe Hubraum macht den Ein-Liter-Gol nicht zum Drehmomentriesen. 95 oder 104 Nm stehen bei 3.850/min bereit. 165 km/h Höchstgeschwindigkeit sind möglich, für den Sprint von 0 auf 100 km/h braucht der rund 970 Kilogramm schwere Gol 13,6 Sekunden.Die Verarbeitung ist ordentlich, konstruktive Finesse findet sich allerdings nicht. Die Scharniere und Arme der Kofferraumklappe ragen weit ins Gepäckabteil hinein, billiger Nadelfilz kleidet das 480 Liter fassende Transport-Kompartement aus. Eine Fernentriegelung gibt es am Schlüssel, der so aussieht wie bei allen VW dieser Welt, sie erfordert, wie fast jedes kleine, komfortspendende Detail im Gol, die Zahlung eines Aufpreises.

Es ist also nicht weit her mit den preisbrecherischen Eigenschaften der brasilianischen VW-Modelle, zu denen außerdem der Voyage, ein Gol mit Stufenheck, der Fox samt seiner schmucken Derivate Space Fox und Cross Fox zählen sowie der Pick Up Saveiro. Vielleicht planen die Konzernvorstände schon die Kooperation mit Herstellern in Indien oder rüsten die chinesischen Werke für die Produktion von Billig-Autos auf. Dass die sich in nicht zu fernere Zukunft auch ein Stelldichein in Europa geben werden, ist so gut wie beschlossen.

Volkswagen will weltweit wachsen. Dazu bedarf es speziell in Schwellenländern auch günstiger Modelle. Die hat der Konzern schon, aber so richtig günstig scheinen sie dann doch nicht zu sein, wie ein Blick auf den brasilianischen Gol zeigt.

Fazit
Volkswagen will weltweit wachsen. Dazu bedarf es speziell in Schwellenländern auch günstiger Modelle. Die hat der Konzern schon, aber so richtig günstig scheinen sie dann doch nicht zu sein, wie ein Blick auf den brasilianischen Gol zeigt.

Quelle: Autoplenum, 2012-10-25

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