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Testbericht

Benjamin Bessinger/SP-X, 18. August 2016

Der Blick vom „Bund“ rüber nach Pudong fesselt Mario Kaulfers immer wieder. Denn auch wenn der VW-Ingenieur jetzt seit über fünf Jahren in China lebt, kann er sich an der Skyline jenseits des Huangpu-Rivers kaum satt sehen. Schließlich wachsen dort die Wolkenkratzer schneller als irgendwo sonst auf dem Globus und zeugen damit von der ungeheuren Dynamik, die China zur größten Wirtschaftsmacht der Welt hat werden lassen. „Jedes Mal, wenn ich hier vorbei fahre, reckt sich ein neuer Spargel in den Himmel“, freut sich der Expat, wie man die auf Zeit, aber fest in einem fremden Land arbeitenden Ausländer nennt.

Diesmal kreuzt er mit einem Auto durch das Finanzzentrum der 20-Millionen-Metropole, das perfekt zu dieser Stimmung passt, weil es ebenfalls für den ungebrochenen Aufstiegswillen, die Sehnsucht nach Anerkennung und die Gier nach Größe steht: Kaulfers sitzt am Steuer des neuen VW Phideon, mit dem das Joint-Venture SAIC und VW jetzt zu den in China nur „ABB“ genannten Luxusmarken Audi, BMW und (Mercedes-)Benz aufschließen und Autos wie dem A6, dem Fünfer oder der E-Klasse ans Leder will.
 
Der gut fünf Meter lange Luxusliner soll eine Entwicklung vorantreiben, die weitgehend unbehelligt vom Diesel-Dilemma nur eine Richtung kennt: aufwärts. Allein im letzten Jahr hat VW in China über 2,6 Millionen Autos verkauft und dieses Jahr könnte die Vier-Millionen-Marke fallen, berichten Kaulfers Vorgesetzte. Obwohl 40 Prozent des Geschäftes mit Einstiegsautos wie dem Santana gemacht werden, haben sich die Niedersachsen auch bei der stetig wachsenden Mittelschicht in den letzten Jahren einen guten Ruf erworben. Deshalb tut es den Managern im Reich der Mitte auch so weh, dass Wolfsburg den Phaeton eingestellt und im Strudel des Diesel-Skandals die Entwicklung des Nachfolgers gestoppt oder zumindest deutlich verzögert hat.
 
Während sich das nördliche Joint-Venture mit FAW darüber mit der lokal produzierten Audi-Flotte hinwegtrösten kann, ist für den südlichen Ableger SAIC-VW  jetzt beim Passat Schluss: „Wir haben zwei Millionen Passat-Kunden, denen wir etwas zum Aufsteigen anbieten wollen“, sagt Marketing-Chef Jörg Hitpass. Da kommt ihm der neue Phideon gerade recht. Vor vier Jahren beschlossen, hätte er früher vielleicht mal die Lücke zum Phaeton schließen sollen. Doch in der neuen Gemengelage wird er plötzlich auf dem wichtigsten Markt zum Flaggschiff wider Willen.
 
Diese Rolle hat VW dem 5,07 Meter langen Phideon zwar nicht auf den Leib geschneidert. Aber er spielt sie trotzdem mit Bravour: Genauso groß wie der Phaeton und innen dank des längeren Radstands von 3,01 Metern sogar ein wenig geräumiger, kostet er nicht zuletzt wegen der lokalen Produktion mit einem Grundpreis von 359 000 RMB oder umgerechnet etwa 48.000 Euro kaum mehr als halb so viel wie der Luxusliner, macht aber in den Straßen von Shanghai mindestens genauso viel her: Das von LED-Scheinwerfern und einem breiten Kühler betonte Gesicht streng und entschlossen, die Flanke klar und schnittig und das Heck rundherum stimmig – so lässt der Phideon den dank des Modularen Längsbaukastens technisch eng verwandten Audi A6 ganz schön alt aussehen und fängt in Pudong manch neugierigen Blick ein.
 
Groß und repräsentativ sind allerdings viele Limousinen in China, fallen dann aber innen umso weiter ab. Beim Phideon ist das anders: Er feiert in der Kabine eine Orgie aus Lack und Leder und umschmeichelt die Kundschaft mit Chrom auf jedem Schalter. Und davon gibt es jede Menge. Denn VW hat vom Nachtsichtsystem über die Parkautomatik bis hin zum Abstandstempomaten so ziemlich alles eingebaut, was das Konzernregal zu bieten hat. Nur Assistenzsysteme für mehr Autonomie beim Fahren gibt es keine. Stattdessen ist das Navigationssystem so (über)fürsorglich, dass es den Fahrer sogar vor Kreuzungen oder Kurven warnt.
 
Während Testfahrer Kaulfers den serienmäßig luftgefederten und in der Topversion auch allradgetriebener Wagen ganz entspannt über die unzähligen Temposchwellen steuert, mit der weichen Lenkung wie auf Carving-Skiern durch den dichten Verkehr gleitet und auf der Flughafen-Autobahn per Kickdown beweist, dass in dieser Stille doch ein Motor arbeitet, sitzt man im Fond in seinem ganz eigenen Reich. Wie in Watte gepackt und auf Wolken gebettet sinkt man tief in die weichen Leder, lässt sich den Rücken von Massagesesseln kneten und das Hemd von der Klimaanlage der Polster trocknen. Und wenn die Arbeit auf dem kleinen Klapptischchen endlich erledigt ist, dann holt man noch schnell einen Schlummertrunk aus dem Barfach, bevor der Kopf in den federweichen Kopfstützen versinkt. Kaulfers muss den 3,0 Liter großen V6-Motor mit rund 300 PS und 440 Nm gar nicht ausfahren, muss nicht in 6,3 Sekunden von 0 auf 100 stürmen oder mit den 250 km/h Spitze seinen nach 1.000 Prüfungsfragen umgeschriebenen Führerschein riskieren, damit man sich hier wie jemand Besseres fühlt.
 
Wer zur Teufel braucht da noch ein „ABB“-Modell? Schön für SAIC-VW, schlecht für Audi, BMW und Mercedes – zumal deren China-Limousinen in diesem Segment allesamt mindestens zehn Prozent teurer sind, rechnet Marketing-Mann Hitpass vor. Trotzdem ist er nicht so vermessen, einen aus diesem Trio vom Treppchen stoßen zu wollen. Die 160.000 Zulassungen von Audi und BMW und die 80.000 E-Klassen im Jahr scheinen ihm für den Phideon erst einmal unerreichbar. Erst recht, wenn er sich nicht an der wilden Rabattschlacht beteiligen möchte, die zwischen den anderen deutschen Marken tobt. „Aber Lexus, Cadillac & Co halten 25 Prozent der rund 600.000 Zulassungen im Segment“, sagt Hitpass. „Davon wollen wir uns einen Anteil holen.“
 
Natürlich wissen Hitpass und sein Entwicklungschef Frank Bekemeier, dass sie ihre Produktion auch anders steigern könnten – zum Beispiel durch den Export nach Deutschland: Weil der Phideon nicht ganz so abgehoben auftritt wie der Phaeton, hätte er durchaus das Zeug zum glaubwürdigen VW für Aufsteiger und könnte mit einem etwas bestimmteren Set-Up und einem auf deutsche Vorlieben abgestimmten Ambiente auch bei uns ein bisschen am Glanz von E-Klasse & Co kratzen.
 
Doch so gut der Phideon sich im Stadtverkehr von Shanghai macht, wird man ihn in Stuttgart oder Salzgitter wohl nie zu sehen bekommen. „Ein Export nach Europa ist nicht geplant“, sagt Bekemeier und erteilt den Aufstiegsträumen ambitionierter VW-Käufer in Deutschland eine Abfuhr. Testfahrer Kaulfers kann das egal sein: Er hat seinen chinesischen Führerschein gerade um zehn Jahre verlängert und kann deshalb auf der Suche nach neuen Wolkenkratzern noch ein bisschen weiter im Phideon durch Pudong kreuzen.

In keiner Stadt spiegelt sich die ungebrochene Dynamik und der Aufstieg Chinas deutlicher wider als in Shanghai. Deshalb ist die Stadt auch eine perfekte Kulisse für die erste Ausfahrt mit dem neuen VW Phideon. Schließlich haben die Niedersachsen mit dem Ersatz für den Phaeton noch viel vor – zumindest im Reich der Mitte.

Fazit
In keiner Stadt spiegelt sich die ungebrochene Dynamik und der Aufstieg Chinas deutlicher wider als in Shanghai. Deshalb ist die Stadt auch eine perfekte Kulisse für die erste Ausfahrt mit dem neuen VW Phideon. Schließlich haben die Niedersachsen mit dem Ersatz für den Phaeton noch viel vor – zumindest im Reich der Mitte.
Testwertung
4.0 von 5

Quelle: Autoplenum, 2016-08-18

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