Alfa Romeo Giulietta 2.0 JTDM 16V Test: alla milanese
Testbericht
Der Golf ist die Nahrung, die Giulietta der Genuss. Und noch mehr: überzeugend, harmonisch und mit dem 140 PS starken Diesel und Start-Stop sparsam
Ganz rational betrachtet, definiert sich die vom Centro Stile Alfa Romeo gezeichnete Karosse so: Länge 4,35 m, Höhe 1,46 m, Breite 1,80 m, bei einem Radstand von 2,63 m und endend in einem großzügigen Kofferraumvolumen von 350 l. Aber wer urteilt hier nur rational? Die Giulietta verwöhnt das Auge. Beginnend mit dem in die Front eingebetteten Scudetto, mit den wie erstmals am 156 in die C-Säule einkaschierten Türöffnern und dem emotionalen Finale. Hinten endet Alfas neue Giulietta mit den markant gezeichneten LED-Schleifen in den Rückleuchten so reizvoll, wie sie vorne beginnt.
Wo Tradition mitschwingt, ist auch viel Moderne. Zu spüren mit dem komplett neu entwickelten Fahrwerk und an vielem anderen. Die erstmals im MiTo installierte Fahrdynamikregelung „D.N.A.“, mit der sich die Betriebsparameter von Motor, Lenkung, Differential und ESP (VDC) variieren lassen, gehört in allen Giulietta-Versionen zum Serientrimm. Sie ist in drei Setups („Dynamic“, „Normal“ oder „All Weather“) einregelbar. Gestartet wird immer auf „n“. Unter „a“ werden ESP und ASR auf mehr Vorsicht getrimmt.
Soviel zur Pflicht, nun zur Kür: Schalter 0,5 Sekunden halten, und auf „d“ gibts spürbar mehr Nm an den Vorderlauf. Nun erfolgt das Tuning der Lenkung in Richtung sportlich, und das Untersteuern beim Verlassen der Kurve reduziert sich merklich: Man geht vorne schnell in die Kurve und kommt hinten wieder schnell heraus – so einfach kann man das sagen. Hohe Tempi gehen souverän: Gefahrene 180 km/h, gefühlte 130.
Nicht Ausdrehen wie früher bedeutet Kraft, sondern kräftiges und frühes Drehmoment. Der im Dieselangebot die Mitte markierende neuste Dieselmotor mit 140 PS Leistung (weitere Common-Rail-Diesel: der 1.6 JTDM mit 105 PS und der 2.0 JTDM 16V mit 170) schwingt sich unter „Dynamic“ schon bei 1.750 Umdrehungen zu kraftvollen 350 Newtonmetern auf. Herandrehen an die Schmerzgrenze bei 5.000 U/min bringt dagegen nichts, außer mehr Selbstzünderakustik.
Sparsam ist der leer 1.320 kg auf die Waage bringende Giulietta Diesel nicht nur wegen Start-Stop (abschaltbar). Selbst im Testmittel, oft flotter gefahren, verlässt mit 6,8 Liter/100 km ein verträgliches Quantum den 60 Liter-Tank. Mit 205 km/h ist die Giulietta flott. Die eine Sekunde, die auf den 170 PS-Diesel bis Tempo 100 verloren geht (9,0 statt 8,0 s), spielt im Alltag ungefähr so eine wichtige Rolle wie die zwei dicken Chromblenden der Auspuffanlage für die Performance – keine.
Die Emotion wird auch drinnen nicht abgebügelt. So bauen nur Italiener ein Interieur. Der penthouseartig thronende mittige Luftausströmer, massive Drehregler und vor allem die tolle Materialität machen Eindruck. Der üppige Aluknauf des flotten Sechsgang-Schaltgetriebes, Ledersitze mit roter Ziernaht und Alfa-Emblem in den Kopfstützen (Leder „Venere“ im Sportpaket 2, sonst 1.500 Euro extra), straffe Polster und guter Seitenhalt runden den sehr positiven Eindruck vom Giulietta-Interieur ab. Die gekonnte Farbgebung der dicken Teppiche bekommt nur ein italienischer Innenraumdesigner so hin: stilsicher. Auch richtig am schönen Platz: Der aus der Armaturenbrettmitte ausfahrende Farbmonitor (im Winkel anpass-, auf Knopfdruck einfahrbar), die Zwei-Zonen-Klimaanlage mit „Air Quality System“ (AQS: bei Luftverschmutzung automatische Umschaltung auf Umluft) und der in die Reserveradhalterung eingeschraubte Bass des Bose Soundsystems: Hifi mit großer Substanz – ohne wenn und aber: ein Einkaufstipp.
DNA ist ein Appetitmacher: Die puristisch-schlichte Schaltkulisse des Druckstellers und auch auf dem zentralen Monitor. Unter „d“ werden die Balken der Turbo-„bar“-Anzeige wie im MiTo auf das Bordcomputer-Display vor die Fahrernase projeziert. Unter dem Untermenü „D1“ kommen zudem Ladedruck und Leistungsmoment mit farbenfrohen Skalen auf dem Monitor zum Vorschein, unter „D2“ das „G-Meter“. Dieses zeigt nicht nur die Querbeschleunigung, sondern auch die Längskräfte während des Bremsens und Gasgebens – ein g zum betrachten.
Ein g fühlen, heißt das Fahrwerk verstehen. Die Abstimmung von Federn und Dämpfern überzeugt jedoch nicht nur, wenn es rasant zugeht. Selbst mit den Bridgestone Potenza 225/40 R18 auf den „Superclassic“-Felgen (inklusive im Sportpaket 2 für 3.300 Euro) überzeugt der Unterbau als sehr gelungener Kompromiss aus Harmonie und Sportivität. Nicht nur der Grenzbereich, sondern auch das realisierte Sicherheitsniveau liegen hoch. Aktiv steigern die Sicherheit Brake-Assist, VDC (Vehicle Dynamic Control), DST (Dynamic Steering Torque), CBC (Cornering Braking Control), das elektronische Differential Q2 und das adaptive Licht AFS (Adaptive Frontlight System). Wird auch damit etwas übersehen, schützt das Blech mehr als im 147: Alfa hat die Giulietta auf das künftig höchste Rating in der Euro-NCAP-Wertung ausgelegt.
Wie nah die attraktive Giulietta dem Golf auf den Fersen ist, zeigt sich auch an der Preispolitik. Eigentlich erwartetes wie Fensterheber hinten kosten 200 Euro extra, anderes wie die Bi-Xenonscheinwerfer samt Kurvenlicht (1.090), die Brembo-Bremsanlage (380), die Navi mit TMC-Pro (1.700) und das Bose Soundsystem (580 Euro) zu recht. So kostet der Testwagen dann nicht 25.450 Euro sondern 36.630. Dieses Aufpreisen kann man kritisieren und ebenso die mäßige Übersicht nach hinten oder den schmalen Ein- und Ausstieg hinten, aber viel mehr nicht. Das Feder-Dämpfer-Setup überzeugt sehr, der kräftige Motor ähnlich, und die Schönheit ist eh immanent – bella Italia. Alfa-Feeling ohne gravierende Schwächen. Alltagskorrekt, emotional korrekt – alla Milanese: macht nicht nur satt, sondern mundet.
(le)

































