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Testbericht

Sebastian Viehmann, 2. Juni 2012
1972 baute Mercedes die erste S-Klasse. Schnell galt sie als Messlatte des Premium-Segments. Das chromblitzende Schlachtschiff war ein Ruhepol in Zeiten des Aufruhrs – und machte in den USA ausgerechnet wegen der Ölkrise groß Karriere.

Was für ein Jahrzehnt für Deutschland! Gesellschaftliche Umwälzungen, Terrorismus, wirtschaftliche Rezession, Ölkrise: Die 70er Jahre haben es in sich. Wie gut, dass im Bundeskanzleramt einer sitzt, auf den man sich verlassen kann. Helmut Schmidt ist der Steuermann der Republik. Ein hanseatischer Fels in der Brandung, der seinen Prinzipien treu bleibt und an dem sich selbst die Terroristen der RAF die Zähne ausbeißen. Wenn Schmidt im Fond seiner Mercedes S-Klasse vor dem Kanzleramt vorfährt, weiß man: Der wird das Land schon irgendwie an allen Klippen vorbei lotsen.

Die S-Klasse der Baureihe W116 war in den 70ern die mobile Trutzburg der Mächtigen. Nach Helmut Schmidt fuhr auch Helmut Kohl einen W116, bevor er auf die zweite Generation der S-Klasse umstieg. Bei radikalen Linken war der Wagen dagegen das verhasste Symbol des wirtschaftlichen und politischen Establishments. Der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer saß in einem Mercedes 450 SEL, als er 1977 von der RAF bei einem blutigen Attentat entführt wurde. Als die Terroristen Schleyer später ermordeten, sperrten sie den Leichnam in den Kofferraum eines spießigen Audi 100 –in der Logik der RAF wohl ein symbolischer Akt.

1972 erschien die erste offizielle S-Klasse, auch wenn schon vorher Spitzenmodelle des schwäbischen Herstellers den Namen S getragen hatten. Im Vergleich zum ehrwürdigen Typ 600 oder zum W108 sah die Baureihe W116 deutlich moderner und voluminöser aus, gleichzeitig war sie üppiger mit Chrom verziert. Breite, eckige Scheinwerfer ersetzten die bislang aufrecht stehenden Lampen der großen Benz-Modelle.

In Sachen Fahrkomfort, Prestige, Sicherheitsausstattung und Qualitätsanmutung gab es 1972 nichts Vergleichbares, jedenfalls nicht in der Summe aller Eigenschaften – weder von Audi oder BMW noch von französischen oder amerikanischen Marken. Mercedes spendierte seinem Flaggschiff immer neue Highlights, etwa einen Tempomaten oder ein Autotelefon. Ab 1979 konnte man erstmals das Antiblockiersystem ABS für die S-Klasse ordern. Zwar hatten Autos wie der exotische Jensen FF schon vorher mechanische Antiblockiersysteme an Bord, doch die von Bosch als ABS patentierte Technik fand erst mit der S-Klasse ihren Weg in die Großserie.

Im September 1972 kostete das knapp 4,7 Meter lange Basismodell 280 S mit Sechszylinder-Vergasermotor und 160 PS 23.800 D-Mark. Es folgten der 280 SE (Einspritzer mit 185 PS), der 350 SE (V8, 200 PS) und der 450 SE (V8, 225 PS). An der Spitze der Nahrungskette thronte ab 1975 der 450 SEL 6.9. Diese mit 70.000 D-Mark teuerste Langversion des Luxuskreuzers maß 5060 mm, hatte eine hydropneumatische Federung mit Niveauregulierung und brachte knapp zwei Tonnen auf die Waage. Der 6,9 Liter große V8-Motor leistete 286 PS, beschleunigte die Limousine in acht Sekunden von 0 auf 100 km/h und ermöglichte eine Höchstgeschwindigkeit von 225 km/h.

Die Kehrseite der hubraumstarken Medaille erfuhr man an der Tankstelle, selbst wenn das Klientel der S-Klasse nicht gerade jeden Pfennig umdrehen musste. Schon der 280 S verschlang im Schnitt 16 Liter Superbenzin auf 100 km, beim 450 SEL 6.9 waren es satte 22 Liter. Die Ölkrisen der 70er Jahre kamen Mercedes also nicht gerade gelegen, vor allem in den USA sanken Sprit schluckende V8-Motoren in der Kundengunst rapide.

Die Lösung brachte 1978 der erste Turbodieselmotor in einer Oberklasselimousine. Der 300 SD holte mit fünf Zylindern aus drei Litern Hubraum 115 PS, trieb den schweren Wagen in quälend langsamen 17 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Er war trotzdem ein Verkaufsschlager in den USA, aber auch nur dort – in Deutschland wurde die Diesel S-Klasse nicht angeboten. 14 Liter flossen auf 100 km im Schnitt durch die Leitungen, damit senkte Mercedes seinen Flottenverbrauch im Land der plötzlich ziemlich begrenzten Möglichkeiten erheblich und erfüllte neue US-Regierungsauflagen. Anfang der 80er Jahre verkaufte Mercedes in den USA fast 80 Prozent seiner Autos mit Selbstzünder. Noch heute sieht man vor allem in Kalifornien überlebende 300 SD dieser Zeit, oft werden sie mit Biodiesel betankt.

Die letzte von über 473.000 S-Klassen der Baureihe 116 lief im September 1980 vom Band, obwohl schon seit Dezember 1979 der Nachfolger W126 gebaut wurde. Dies war gleichzeitig die letzte S-Klasse, die weitgehend ohne Konkurrenz blieb. In den 80er Jahren wuchs der 7er BMW und später der Audi A8 zum würdigen Gegner der Sindelfinger Luxuskarosse heran. Und auch vor dem Bundeskanzleramt hatten bald nicht mehr alle Autos einen Stern auf der Haube.

Quelle: Autoplenum, 2012-06-02

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