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Testbericht

Sebastian Viehmann, 1. August 2010
Sie fahren Elektroautos, konstruieren Plug-In-Hybride oder betreiben Autos mit altem Frittenfett. Immer mehr Amerikaner wollen mit Eigeninitiative der Abhängigkeit vom Öl entfliehen.

Marc Gellers Haus sieht genau so aus wie tausend andere in der Altstadt von San Francisco: Ein schmales Holzgebäude, dicht gedrängt neben andere Häuser an einem steilem Sträßchen mit winzigen Gärten. Jeden Moment könnten Karl Malden und Michael Douglas mit ihrem dicken Ford LTD um die Ecke biegen, um in der Fernsehserie „Die Straßen von San Francisco“ Verbrecher zu jagen. Doch das kleine SUV, das da in der engen Auffahrt vor der kleinen Garage steht, ist das Gegenteil des klassischen Ami-Schlittens mit V8-Motor: Der elektrische Toyota RAV4 hängt gerade an der Steckdose.

Über eine steile Treppe gelangt man zu Marcs Haustür. Im Erkerfenster hängt ein Plakat mit dem Konterfei von US-Präsident Obama, darunter nur ein Wort: Hoffnung. Marc öffnet die Tür und wedelt mit einem Autoschlüssel in der Hand: „Let’s go.“ Sein Toyota RAV4 EV ist eines von rund 1500 Fahrzeugen, die von 1998 bis 2003 gebaut wurden. Weil sich der Stromer nur 300-mal pro Jahr verkaufte, wurde er wieder eingestellt. 2012 allerdings will Toyota wieder einen elektrischen RAV4 auf den Markt bringen und hat sich dazu Hilfe bei Tesla geholt.

Marc steuert seinen Stromer lautlos durch die Straßen von San Francisco, vorbei an historischen Straßenbahnen. Das Auto hat fast 123.000 Kilometer auf dem Tacho, und das alles mit dem ersten Akkupaket, wie der Berater für Solaranlagen stolz betont. Mit seinen Nickel-Metallhydridbatterien kommt der RAV4 rund 150 Kilometer weit. „Ich fahre selten längere Strecken, daher genügt mir die Reichweite fast immer“, sagt Marc. Eine Ladung an der heimischen Steckdose dauert fünf Stunden. Weil der Elektro-Fan aus San Francisco seine eigene Solaranlage auf dem Dach hat, zahlt er beim Tanken nicht einmal die Stromkosten.

Während der Wagen durch die steilen Straßen surrt, macht Marc seinen Standpunkt klar: „Im Gegensatz zur Ölindustrie ist die Verteilung von Elektrizität reguliert, sie ist keinen wilden Preisschwankungen unterworfen“, so der Stromer-Pilot. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko ist für ihn nur das Tüpfelchen auf dem i einer verfehlten Entwicklung. „Für die militärischen und diplomatischen Ressourcen, die man für den Zugang zum Öl braucht, zahlen wir zwar nicht an der Zapfsäule“, meint Marc, „doch Öl bestimmt unsere internationalen Beziehungen und die Prioritäten der nationalen Sicherheit. Wir zahlen mit Blut und Steuern.“

Geller ist einer der Gründer von Plug-In America. Die Initiative setzt sich für die Verbreitung von Elektroautos und Hybriden ein. Sie zählt 2000 Mitglieder und hat 60 Ortsverbände, die meisten davon an der West- und Ostküste der USA. Zum Netzwerk gehören auch Umrüster, die aus einem normalen Toyota Prius durch zusätzliche Batteriepakete einen Plug-In Hybriden machen. In einigen Bundesstaaten werden solche Umrüstungen mit öffentlichen Geldern gefördert. Rund ein Dutzend weiterer Staaten von Kalifornien bis Utah bieten bereits Prämien oder Steuervorteile für Stromer und Hybridmodelle, die Höhe reicht von 500 Dollar (Montana) bis 6000 Dollar (Colorado).Auch die US-Bundesregierung unterstützt seit 2009 den Kauf neuer Elektroautos, und zwar in Abhängigkeit von der Batteriekapazität. Die Förderung beträgt maximal 7500 Dollar, ist aber auf 200.000 Autos pro Hersteller begrenzt. Den Betreibern von Ladestationen für Stromer werden Steuervorteile gewährt. Und es gibt noch einen weiteren Vorteil, den Fahrer von Elektroautos und zum Teil auch von Hybridfahrzeugen in vielen Bundesstaaten genießen: „Man darf die Car Pool-Spur auf der Autobahn benutzen, die eigentlich für Autos mit mindestens zwei Insassen reserviert ist“, berichtet Marc Geller. Das spart viel Zeit in der Rush Hour.

Während Marc mit seinem Toyota durch die Straßen von San Francisco fährt, tankt ein paar Meilen weiter östlich in Berkeley eine junge Frau namens Melissa Hardy ihren fast 30 Jahre alten Mercedes auf. Der Wagen stammt aus einer Zeit, in der Mercedes in den USA fast 80 Prozent aller Autos mit Selbstzünder auslieferte. Ein dicker „Turbodiesel“-Schriftzug prangt auf der Heckklappe der champagnerfarbenen Limousine. Doch es ist kein normaler Diesel, der da gerade in den Tank sprudelt. Melissa ist eine von fünf Besitzerinnen der „BioFuel Oasis“, der wahrscheinlich ungewöhnlichsten Tankstelle Kaliforniens. „Wir verkaufen ausschließlich Biodiesel, der im Umkreis von 200 Meilen und aus gebrauchtem Fett hergestellt wurde. Es wird bei verschiedenen Restaurants eingesammelt und zu Biodiesel verarbeitet“, erklärt Melissa.

Pro Gallone kostet der Biosprit an der Zapfsäule 70 Cent mehr als normaler Dieselkraftstoff – und schon der ist in den USA teurer als Benzin. „Für unsere Kunden ist das kein Problem, weil unser Treibstoff in ihrem Wertesystem einfach eine höhere Qualität besitzt. Sie haben sich entschieden, Ihren Treibstoffverbrauch zu lokalisieren – genau so, wie sie es mit Nahrungsmitteln tun“, sagt Melissa Hardy und hört sich dabei an wie eine Soziologie-Dozentin. Rund 3000 Stammkunden tanken ihre Autos in der BioFuel-Oase auf. Die Zapfsäulen stehen unter Holzdächern, umgeben von Rankpflanzen und Blumenkübeln. „Localize your Lifestyle“ lautet das Motto der fünf Damen von der Tankstelle. Nicht nur beim Sprit, sondern auch bei Lebensmitteln will man soweit wie möglich unabhängig sein von Importen aus fremden Ländern, von Großkonzernen und Markenketten. Hinter der Kasse findet man deshalb auch nicht Cola-Dosen, Schokoriegel oder neue Scheibenwischer, sondern Bücher über Landwirtschaft, organisches Hühnerfutter oder Honig von Imkern aus der Nachbarschaft. Mit der BioFuel-Oase könne man zwar nicht reich werden, sagt Melissa Hardy, aber das Geschäftsmodell funktioniere.

Dass die Anti-Öl-Bewegung aber noch ein zartes Pflänzchen ist, sieht man selbst im ehemaligen Blumenkinder-Paradies San Francisco. Fahrradträger an den Bussen und historische Straßenbahnlinien können nicht über den täglichen Verkehrsinfarkt auf den Freeways hinwegtäuschen. Individuelle Mobilität bleibt ein hohes Gut in den USA, das niemand freiwillig einschränkt. Fast alle Elektroautos, die bereits zu kaufen sind oder kurz vor der Markteinführung stehen, stammen von japanischen Herstellern oder kleinen Firmen wie Coda Automotive, Commuter Cars und AC Propulsion. Abgesehen vom Chevrolet Volt gibt es von den „Big Three“ noch kein serienreifes Elektroauto.In den Köpfen hat das Zeitalter nach dem Öl trotzdem begonnen, hoffen Menschen wie Marc Geller oder Melissa Hardy. „Wir wollen einfach weniger Ressourcen verbrauchen und unseren ökologischen Fußabdruck verkleinern“, sagt Melissa, „und da sind wir nicht die einzigen.“

Quelle: Autoplenum, 2010-08-01

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