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Testbericht

Stefan Grundhoff, 27. August 2010
Sportliche Modelle im Hause Seat tragen seit Jahrzehnten die Zusatzbezeichnung „Bocanegra“. Der aktuelle Ibiza Bocanegra trifft seinen Urahn, den Seat 1200 Sport.

Der aktuelle Seat Ibiza Bocanegra ist ein schneidiger Bursche. Kurz und knapp, schnittig gezeichnet und sportlich motorisiert ist er besonders als dreitüriger Ibiza SC eine sehenswert-sportliche Alternative zu VW Polo, Ford Fiesta oder Renault Clio. Wer will, kann ihn als Cupra Bocanegra mit bis zu 180 PS bekommen, womit der kleine Spanier besonders auf Autobahnen und Landstraßen zum feurigen Spaßmacher mutiert. Die Fahrleistungen des sportlichen Kleinwagens sind klasse. Vor 35 Jahren zeigte der Seat 1200 Sport ähnliche Gene.

Auffälligstes Designmerkmal des 3,67 Meter langen Spaniers sind nicht ungewöhnliche Schnitte und Fugen aus der Hand des Seat-Designers Luc Donckerwolke, sondern die schwarze Front. Der Ibiza Bocanegra greift eine Tradition wieder auf, die die Spanier initiierten, lange bevor sie sich im Jahre 1986 mit dem Volkswagen-Konzern anfreundeten. In den 60er und 70er Jahren war weder an einen Flirt mit VW, noch an eine Wolfsburger Ehe zu denken. Seat war eigenständig und regimebedingt in erster Linie für den lokalen Markt der iberischen Halbinsel gedacht. Sportlich und dynamisch liebten es die Spanier jedoch schon damals. Zumeist wurden im Stammwerk Martorell nahe Barcelona Fiat-Produkte in Lizenzbauweise auf die Räder gestellt. Hauptsache praktisch – Hauptsache günstig.

Das erste Seat-Modell, das auffällig und eigenständig für die spanische Marke werben durfte, war im Jahre 1975 der Seat 1200 Sport. Kein kompletter Lizenzbau wie sonst üblich, sondern ein kantiges Kompaktklasse-Coupé mit eigenständigem Design und Platz für vier Personen. Allein die technische Basis bildeten die erfolgreichen Fiat- Modelle vom Typ 124 und 128. Die potentiellen Kunden des „Bocanegra“ sollten jünger sein und sich Mitte der 70er Jahre für ein ungewöhnliches Auto begeistern, das mehr bot als das dröge Einerlei. Seine sportlichen Ambitionen unterstrich der Spanier mit einem schwarzen Mund an der Fahrzeugfront – spanisch „Boca Negra“. Außer dem komplett in schwarzem Hartplastik gefertigten Rahmen für mit Kühlergrill und Leuchteneinheiten gab es am 1200 Sport des Jahres 1975 jedoch nicht viel wirklich sportliches. Unter der nach vorne kippenden Motorhaube arbeitete munter dröhnend ein Vierzylinder mit knapp 1,2 Litern Hubraum und 49 KW / 67 PS. Dank des überschaubaren Leergewichts von kaum mehr als 800 Kilogramm reichte das für flottes Vorankommen und 160 km/h Spitzentempo. Doch 92 Nm maximales Drehmoment hieß, dass ohne ein Ausdrehen der Gänge nur wenig lief.

Schmale 145er Pneus, eine indirekte Lenkung ohne Servogene, träge Bremsen und ein wankmütiges Fahrwerk sorgten jedoch dafür, dass Geschwindigkeiten über 130 km/h mit einem gehörigen Schuss Übermut bewältigt werden mussten. Das immerhin mit Leder ummantelte Lenkrad war spindeldürr und die rustikalen Schalter am Armaturenbrett ließen sich aufgrund ihrer Bauart auch mit einem Fausthieb bedienen. Vorherrschende Außen-Kolorationen von 1200 S und 1430 S waren silber, gold, gelb, blau und grün – in den 70ern liebten es bekanntlich auch die Südeuropäer farbenfroh. Im Innenraum herrschte dagegen spanische Tristesse. Liebloser brauner Flockvelours überzog die Sitze, die nach heutigen Maßstäben kaum sportliche Gefühle wecken können. Das Platzangebot vorne war für groß gewachsene Insassen überschaubar und die Rückbank bevorzugt als zusätzliche Lademöglichkeit zu nutzen, war auch zu Zeiten von Klebeblumen und Bonanza-Rädern nicht der schlechteste Gedanke. Denn der Laderaum war nicht nur klein und durch das liegende Ersatzrad schlecht zu nutzen – auch die hohe Ladekante machte das Be- und Entladen nicht wirklich zu einem Vergnügen. Geöffnet wurde die labile Klappe nicht von außen, sondern durch einen versteckten Hebel in der B-Säule. Da kommen noch heute echte Sportwagengefühle auf.

Im Innenraum blickten die Insassen auf den zweifelhaften Plastikcharme der 70er Jahre. Bei den Hauptuhren für Tempo und Drehzahl wurde die Verwandtschaft zum italienischen Fiat-Konzern ebenso deutlich wie am knochigen Schaltknüppel und den drei Zusatzanzeigen für Uhrzeit, Wassertemperaturen und Öldruck. Immerhin die Instrumente sollten einem dynamischen Tatendrang vorgaukeln, denn ab 120 km/h begann auf dem Tachometer der gelb hinterlegte Bereich, wo der Fahrer Vorsicht walten lassen sollte. Der Drehzahlmesser hatte zu damaligen Zeiten jede Bodenhaftung verloren. Er verfügte zwischen 5.800 und 6.200 U/min über einen winzigen gelben Bereich. So hoch drehte der nicht einmal 1,2 Liter große Vierzylinder jedoch gar nicht. Danach folgte der rote Drehzahlbereich, der bis 8.000 Touren lief. Wer sich trotz der schwarzen Sportschnauze nicht mit den Fahrleistungen des 1200ers zufrieden geben wollte, konnte ab 1976 eine halbe Klasse höher einsteigen. So war der Bocanegra auch als 77 PS starker Seat 1430 Sport erhältlich. Die Fahrleistungen waren kaum besser. Doch mehr Hubraum half immerhin, die Höchstgeschwindigkeit von 165 km/h etwas flotter zu erreichen. Überraschender dabei, dass der Verbrauch des 1430ers mit 7,5 Litern Benzin auf 100 Kilometern über einen Liter weniger betrug, als beim kleineren Seat 1200 Sport.

Verglichen mit dem Sportpaket, das der alte Bocanegra seinen Insassen bot, ist das aktuelle Modell 35 Jahre später eine wahre Hightech-Rakete. Der dynamische Kunde hat die Wahl zwischen 143, 150 und 180 PS – Benziner und Diesel bieten eindrucksvolle Fahrleistungen und einen zeitgemäßen Verbrauch. Der 4,06 Meter lange Seat Ibiza Cupra Bocanegra hat wie sein stärkerer Uhrahn einen rund 1,4 Liter großen Vierzylinder. Dank Turboaufladung muss der nicht mit rund 70 PS auskommen, sondern kann mit bis zu 180 PS aus dem Vollen schöpfen. Er beschleunigt von 0 auf 100 km/h in 7,2 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 225 km/h. Das maximale Drehmoment – Turbo sei Dank - von 250 Nm steht ab 2.000 U/min zur Verfügung. Dabei gibt sich der sportliche Cupra Bocanegra mit 6,8 Litern Super auf 100 Kilometern zufrieden und liegt damit deutlich unter den Vorgaben seiner Ahnen. Geschaltet wird mit einer siebenstufigen Doppelkupplung. Davon konnte der alte Bocanegra mit seinen vier manuellen Gängen nur träumen. Wer es noch sparsamer will: das Bocanegra-Paket des aktuellen Modells gibt es auch für den Ibiza 2.0 TDI mit 143 PS. Er verbraucht gerade einmal 4,5 Liter Diesel auf 100 Kilometern.

Dass beide Schwarzmünder nicht nur bei den Fahrleistungen Welten trennen, versteht sich von selbst. Das aktuelle Modell überzeugt mit seinem überlegenen Fahrverhalten, Breitreifen und einer Sicherheitsausstattung vom feinsten. Der grüne Vorvorgänger bot Sicherheitsgurte vorne, eine heizbare Heckscheibe und düstere Scheinwerferfunzeln. Heute strahlen aus der schwarze Bocenegra-Front bissige Xenon-Augen. Im Innenraum gibt es statt braunem Flockvelours gut geschnittene Sportsitze mit Sitzheizung und zahlreichen Verstellmöglichkeiten. Die enge Rückbank ist jedoch auch im sechzigsten Jahr der Seat-Firmengründung geblieben.

An den Charme des alten Spaniendoppels aus Seat 1200 Sport und 1430 Sport kommt der neue Ibiza Bocanegra jedoch nicht heran. Beide Ur- Sportversionen waren jedoch keine Bestseller und wurden zunächst ausschließlich in Spanien verkauft. Vom Seat 1200 Sport liefen 11.619 Fahrzeuge vom Band; vom 1430er waren es knapp 7.800 Stück. Während der 1200 Sport bereits 1975 auf den spanischen Markt kam und bis 1979 produziert wurde, gab es den größeren Seat 1430 Sport Bocanegra von 1977 bis 1979. Der Seat 1430 wurde Ende der 70er Jahre jedoch auch ins Ausland, unter anderem nach Belgien, Holland und Deutschland exportiert. Seltene Modelle sind jedoch fast ausschließlich in Spanien zu finden. In Deutschland gibt es nur eine Handvoll Fahrzeuge. Da die Karosserie- Gleichteile mit den Fiat-Brüdern fehlen, ist es um die Ersatzteilsituation nicht zum besten bestellt. Insbesondere die schwarze Schnauze ist vom Teilemarkt völlig verschwunden.

Quelle: Autoplenum, 2010-08-27

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