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Testbericht

27. April 2015
Lissabon, 27. April 2015 - Als Autoenthusiast müsste man eigentlich einen ganzen Fuhrpark unterschiedlicher Fahrzeuge unterhalten. Warum? Nun ja, mit Autos ist das wie mit der richtigen Klamotte und dem falschen Wetter oder Anlass: Man braucht was für die Oper, was für die Arbeit, was für Sport und Freizeit oder etwas, um entspannt auf der Couch zu sitzen. Dass sich ein voller Kleiderschrank (in der Regel) einfacher realisieren und anschließend erweitern lässt, als eine eigene Tiefgarage mit vierrädrigen Gefährten für jeden Anlass, dürfte klar sein. Deshalb bräuchte man ein Fahrzeug, das möglichst viele Eigenschaften unter einer einzigen Blechhülle vereint. Ein Reisemobil auf Mercedes V-Klasse-Basis Das Auto, das ich jetzt am Flughafen Lissabon, Portugal, in Empfang genommen habe, ist so ein Tausendsassa. Ein Van, ein Großraum-Van sogar, mit Lieferwagen-Genen und als Bonbon mit Camping-Ausstattung vollgepackt. Es geht um die neue Generation des Marco Polo. Die dritte Runde im Kampf von Mercedes gegen die erfolgreiche T-Baureihe mit California-Zusatz von VW. So ist der Marco Polo ein Reisemobil auf V-Klasse-Basis samt Campingausbau von Westfalia. Was bietet das Einzimmer-Appartement auf Rädern? Ist der Benz-Van ein reiner Camping-Spezialist, ein Alltags-Allrounder, alles auf einmal oder noch viel mehr? Und ist er endlich ein ernst zunehmender Gegner für den VW-California-Kundenkreis? Ich habe es auf einer Testfahrt und in einer Testnacht im Topmodell Marco Polo 250 BlueTEC ausprobiert. Optische Defizite? Nicht beim Marco Polo Von außen lässt sich erst einmal kein großer Unterschied zur Basis-V-Klasse ausmachen. Durch das (in meinem Fall elektrische) Aufstelldach ist die Fahrzeughöhe um sechs Zentimeter auf 1,98 Meter gewachsen. Außerdem befindet sich an der linken Wagenflanke eine unlackierte Plastik-Serviceklappe für die externe Stromversorgung sowie ein Einfüllstutzen für den 38-Liter-Frischwassertank. Ansonsten bleibt die Außenhaut-Gestaltung wie immer reine Geschmackssache. Meiner Meinung nach hat aber gerade hier die Mercedes-Design-Abteilung unglaublich gute Arbeit geleistet. Der große Van - in Stuttgart sagt man übrigens Großraum-Limousine zur V-Klasse - sieht um Welten besser aus als die funktionale aber eher emotionslose Kasten-Konkurrenz aus Wolfsburg. Optische Defizite? Nicht beim Marco Polo.
Wertvoller und ansprechender Designerhaushalt Im Inneren bin ich es bereits vom V-Klasse-Cockpit gewohnt, in einigen Details auf S-Klassen-Ambiente zu stoßen. So befindet sich die große Neuerung im hinteren Marco-Polo-Abteil. Dort macht sich jetzt auf der linken Seite eine Küchenzeile samt Einbauschränken breit. Auch diese fühlt sich teuer und edel an. Die Schubladen und Schrankelemente schließen sanft wie in einem Designerhaushalt, verdunkelte und kratzfeste Glas-Abdeckungen verschließen das glänzende Spülbecken, die 40-Liter-Kühlbox sowie den zweiflammigen Gasherd. Alles in allem ein gelungener und durchdachter Camping-Ausbau mit praktikablem Nutzwert und gleichzeitig schicker Optik. Testfahrt die Erste: Stadtverkehr Vom Flughafenparkplatz manövriere ich das 5,14 Meter lange Light-Wohnmobil in den Lissabonner Stadtverkehr. Die leichtgängige Lenkung und der mit knapp zwölf Meter akzeptable Wendekreis machen den Marco Polo zwar nicht zu einem flinken Spurwechsel-Wiesel, wie in einem Transporter fühle ich mich aber auch nicht. Das dürfte zu großen Teilen an der Sitzposition liegen, die sich am besten mit der von älteren SUVs mit etwas mehr Geländewagen-Ambitionen vergleichen lässt. Fortsetzung auf Autobahn und Landstraße Weiter geht es mit der Fahrsituation, die wohl 90 Prozent der Urlaubsfahrt ausmacht: auf die Autobahn. Hier liegen klar die Stärken des 2,4 Tonnen schweren Reisemobils. Lange Bodenwellen werden sauber ausgefedert, die Abrollakustik passt, Windlärm bleibt draußen und der 2,1-Liter-Turbodiesel verrichtet auch ohne große Geräuschkulisse seine Arbeit. Dazu kommt, dass nichts knarrt, klappert oder knarzt. Lediglich die Stoffverkleidung des Faltdachs gerät in Bewegung und raschelt leise über dem Kopf. Soweit so gut und so weit so erwartet, aber wirklich überraschend ist erst die Performance des Reisemobils. Kein Schreibfehler, versprochen, der Marco Polo macht nämlich tatsächlich auch eine gute Figur auf engen und steilen Küstenstraßen, die wie ein nicht enden wollender Bindfaden Atlantik und Küste voneinander trennen.
Auf der Suche nach dem Performance-Grund Gewicht und Größe müssten eigentlich gegen ein spritziges Campingmobil sprechen. Motor, Getriebe und Fahrwerk schaffen es aber, die physischen Defizite dezent auszumerzen. Der 2,1-Liter-Selbstzünder leistet in der Topversion 190 PS und schickt über eine sauber und weich waltende Siebengang-Automatik bis zu 440 Newtonmeter Drehmoment an die Hinterachse. In starken Beschleunigungsphasen erhöhen sich diese Werte durch ein Overtorque-Programm um 14 PS beziehungsweise 40 Newtonmeter auf 204 PS und 480 Newtonmeter. Von der Standard-V-Klasse ist zudem bekannt, dass es durch den Hinterachsantrieb und das dort fehlende Gewicht zu Traktionsproblemen kommen kann. Durch den Camping-Ausbau und damit rund 300 Kilogramm im Heckabteil ist dieses Problem Geschichte. So lässt sich die Luxus-Suite in 10,9 Sekunden auf 100 km/h drücken. Auch Luftwiderstand scheint der Marco Polo nicht zu kennen: 200 km/h sind maximal möglich. Beeindruckend ist auch die - Achtung - Querdynamik. 2,4 Tonnen schieben zwar mächtig auf den Kurvenscheitel zu, das Tempo kann aber erstaunlich hochgehalten werden. Grund dafür ist das optionale Sportfahrwerk. Dieses hält zudem die Neigungsbewegungen in Grenzen und so fühlt sich das Reisemobil beim Rechts-Links-Wechsel nicht viel anders an als ein modernes SUV. Auch der Verbrauch ist langstreckenkonform: Der Mix aus Stadtverkehr, Autobahn und sportlicher Landstraße forderte alle 100 Kilometer 7,8 Liter Diesel aus dem Tank. Traum oder Alptraum? Auf dem Stellplatz angekommen, klappe ich das Aufstelldach mithilfe der in der Mittelkonsole sitzenden Kontrolleinheit aus. Anschließend lässt es sich auch mit knapp 1,90 Meter Körpergröße problemlos aufrecht im Auto stehen. Das Bett ist schnell gemacht und ich verbringe die Nacht in der oberen und überaus bequemen ersten Etage in einem 2,05 Meter langen und 1,13 Meter breiten Bett. Zugegeben, zu zweit könnte es knapp werden. Die Voraussetzung ist dann, dass man frisch verliebt ist und sich in der Löffelchen-Stellung arrangieren kann. Wer ein breiteres Nachtlager (1,93 Meter mal 1,35 Meter) wünscht, muss auf die Einbauküche verzichten und einen Marco Polo Activity ordern. Diese abgespeckte Camping-Version kommt zwar auch mit vier Schlafplätzen, aber mit weitaus weniger Luxusfeatures und baut direkt auf dem Vito-Transporter auf. Das sorgt zwar für grundsätzlich mehr Nutzfahrzeugflair, aber gleichzeitig auch für einen niedrigen Einstiegspreis von 38.960 Euro. Unschwäbische Preispolitik Bleibt die Frage nach dem Preis des Topmodells: Schwäbisch sparsam ist es nämlich nicht. Mindestens 61.118 Euro fordert Mercedes für die Top-V-Klasse mit Westfalia-Umbau. Der Einstiegspreis liegt bei 54.835 Euro für den 136-PS-Diesel mit Sechsgang-Schaltung. Klingt im ersten Moment nach viel Geld, ist aber vergleichbar mit dem aktuellen VW California und bleibt beim Kosten-Nutzen-Faktor viel höher als ein stinknormales SUV. Oder würden Sie in einer Mercedes M-Klasse kochen, Karten spielen und abends zu viert schlafen? Nein?! Dann denken Sie lieber über einen Marco Polo nach.
Technische Daten
Antrieb:Heckantrieb
Anzahl Gänge:7
Getriebe:Automatik
Motor Bauart:Diesel-Reihenmotor
Hubraum:2.143
Anzahl Ventile:4
Anzahl Zylinder:4
Leistung:140 (kurzzeitig: 150 kW) kW (190 (kurzzeitig: 204 PS) PS) bei UPM
Drehmoment:440 (kurzzeitig: 480 Nm) Nm bei 1.400 - 2.400 UPM
Preis
Neupreis: 61.118 € (Stand: April 2015)
Fazit
Der Urmeter des kompakten Reisemobils hat Konkurrenz bekommen: So ist der Marco Polo der erste Camper von Mercedes, der der California-Baureihe von VW gefährlich werden könnte. Design und Verarbeitung schaffen ein luxuriöses Aussehen und ein ansprechendes Ambiente. Der Ausbau ist dazu überaus funktional und durchdacht. Trotz des Gewichts und der Größe fährt sich das Einzimmer-Design-Hotel wie ein aktuelles SUV. Der Marco Polo ist ein Vehikel für den Alltagsgebrauch und das gelegentliche Abenteuer in der Freizeit und dem Urlaub. Der Geldbeutel muss aber mitspielen: Mindestens 61.118 Euro braucht man, um sich das Gefühl der Freiheit zu erkaufen. Ein VW California befindet sich ausstattungsbereinigt in vergleichbaren Preissphären. + starker und sparsamer Diesel, schickes Design, durchdachter und luxuriöser Ausbau, PKW-Fahrverhalten - hoher Preis, keine Getränkehalter in der Mittelkonsole, keine Segel-Funktion im Fahrprogramm
Testwertung
4.5 von 5

Quelle: auto-news, 2015-04-27

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