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Testbericht

Stefan Grundhoff, 28. November 2011
Was Maybach seit 2002 weitgehend erfolglos versuchte, zelebriert Rolls-Royce mit nicht zu überbietenden Hingabe. Das Bauen exklusivster Autos. Das gilt nicht nur für den übermächtigen Phantom, sondern mehr denn je für den kleineren Ghost. Eine Ausfahrt von München nach Telfs in Tirol.

Wer einen wochenendlichen Abstecher in die Alpen macht, wählt gerne einen kleinen Roadster oder einen leistungsstarken Sportler. Doch es gibt diese Tage, da will man entspannen, sich nach einer harten Woche entschleunigen. Statt Sportprogramm gibt es Streicheleinheiten für Seele und Geist. Kein Autohersteller wäre da besser geeignet als Rolls-Royce, die seit mehr als einhundert Jahren nicht zu Unrecht von sich behaupten, die besten Autos der Welt zu bauen. Simply the Best ist für die Ausfahrt ins sonnenreiche Tirol genau das richtige. Ziel der Fahrt in dem rund 250.000 Euro teuren Ghost ist das Interalpen Luxusressort in Telfs.

Doch zunächst gibt es das harte Alltagsgeschäft. Der Start in der bayrischen Metropole München ist bekannt staureich. Nur zäh geht es Meter für Meter über den mittleren Ring in den Südwesten der Stadt, wo die Autobahn A95 den bis dahin sanft säuselnden V12 des 5,40 Meter langen Ghost von einer ganz anderen Seite zeigt. Ging es gerade noch sänftengleich im Schritttempo über die engen Fahrspuren Richtung Luise-Kiesselbach-Platz, so erwacht der bisher kaum zu vernehmende Zwölfzylinder auf Pedaldruck zu fast schon beängstigendem Leben. Als die letzte Tempo-80-Begrenzung außerhalb von Neuried vorbeizieht, presst es Fahrer und Insassen mit spürbarer Vehemenz ins anschmiegsame Ledergestühl. Im nächsten Moment sind alle Gedanken daran vergessen, dass diese Luxuslimousine schwergewichtige 2,4 Tonnen auf die Waage bringt vergessen. Nahezu geräuschlos prescht der Rolls-Royce Ghost bis weit hinter die 200-km/h-Marke los, als ob die Trägheit der Masse und jegliche Übergewichte, die er trägt, ein sanftes Nichts wären. Die mit doppelter Turboaufladung zu Höchstleistungen animierten 6,6 Liter Hubraum stellen dem Piloten 420 KW / 570 PS zur Verfügung. Ab sagenhaft niedrigen 1.500 U/min liegt das maximale Drehmoment von 780 Nm an der Kurbelwelle an.

Nach gefühlten drei Musiktiteln aus dem 600-Watt-Soundsystem mit seinen 16 Lautsprechern ist es mit dem abgeregelten Hochgeschwindigkeitsgenuss von 250 km/h vorbei und die Landstraße B2 Richtung Garmisch-Partenkirchen zeigt sich als rechtes Terrain, um wieder wie auf einem schwebenden Teppich dahinzugleiten. Kurz durch den bekanntesten Skiort Deutschlands, dann rechts Richtung Mittenwald nach dem wegrationalisierten Grenzübertritt nach Österreich weiter auf der L14 Richtung Hochplateau. Der kurze Ausflug vergeht wie im Flug. Sehenswerte Berglandschaften des deutsch-österreichischen Grenzgebiets und urige Häuser ziehen cineastisch vorbei. Durch das entkoppelnde Dämmglas des Rolls-Royce Ghost nimmt man die Geräusche der Umgebung allenfalls am Rande wahr. Das Öffnen eines Seitenfensters bringt einen nur in Ansätzen in die normale Welt zurück. Auf der kurvigen Landstraße hinauf nach Telfs zeigt sich der Ghost so fahrdynamisch wie man es wohl von keinem anderen Rolls-Royce vor ihm kannte. Nicht, dass es am Fahrgefühl nicht noch etwas zu verbessern gäbe, doch so direkt hat sich man sich in einer Limousine mit der bekanntesten Kühlerfigur der Welt noch nie der Straße verbunden gefühlt.

In schnellen Kurven spürt man die wuchtigen 570 PS, den langen Radstand von 3,30 Meter und den nicht zu überspielenden Nachteil, dass der Ghost zwar mit einer feinfühligen Luftfederung, nicht aber mit einem Allradantrieb ausgestattet ist. Ein Makel, dass es mittelfristig auszugleichen gilt. Schließlich ist der 4x4-Antrieb angesichts dieser Motorleistung und des einzig verbleidenden Konkurrenten Bentley sinnvoll. So hat der Brite immer wieder Mühe, seine gewaltige Leistung in artgerechten Vortrieb auf die Straße zu bannen. Gut, dass der edle Fond heute leer geblieben ist. Denn bei schnellen Wechselkurven und leicht ausbrechendem Heck zeigt der kleine Rolls-Royce zwar all sein Fahrkönnen, ist im Grenzbereich jedoch für unbeteiligte wenig huldvoll unterwegs. Doch der Fahrer will sich an diesem Wochenende eben etwas Außergewöhnliches für Körper und Geist gönnen – auch auf der Straße. Im Gegensatz zum Familienoberhaupt Phantom ist der Ghost mit allerhand Assistenzsystemen wie Nachtsichtgerät oder Head-Up-Display zu bekommen, die für noch mehr Sicherheit sorgen. Rolls-Royce, die traditionsverliebteste Automobilmarke der Welt, ist längst in Gegenwart und Zukunft angekommen, während sich Maybach spurlos verabschiedete.

Der Ghost zeigt eindrucksvoll, dass er mehr ist als eine Luxuslimousine mit bekannt edlen Hölzern, weichstem Leder und einem Langfloorteppich, der einem immer wieder den Atem raubt. Man kann in ihm besonders als Version mit langem Radstand vortrefflich im Fond reisen und den Chauffeur die vergnügliche Arbeit am nach wie vor zu dünnen Steuer tun lassen. Doch besser man legt regelmäßig selbst Hand am Lenkrad an und nimmt mit zufriedenem Selbstverständnis zur Kenntnis, dass an der Stelle eines gewöhnliches Drehzahlmessers nach wie vor ein Potenziometer seine Arbeit verrichtet, das zeigt, wie viel Leistung des 6,6 Liter großen Zwölfzylinders man jederzeit noch abrufen kann. Nur so viel: mehr als genug. Das gilt auch für den Verbrauch, der sich durch die Hochgeschwindigkeitstour auf der Autobahn und den Stau auf Münchner Stadtgebiet deutlich über der Werksangabe von 13,6 Liter eingependelt hat.

Als es hinter Leutasch auf der Landesstraße L35 die letzten Kurven hinauf zum Interalpen Hotel Tyrol geht, zeigen Zwölfzylinder und das beeindruckend abgestimmte Fahrwerk nochmals ihr ganzes Können. Der Fahrer vermisst nicht erst hier mehr Verstellmöglichkeiten für das Gestühl. Oberschenkelauflage, Seitenwangen oder Schulterbereich - hier bietet selbst ein Siebener BMW mehr Variationsmöglichkeiten. Mit dem teilt sich der Rolls-Royce rund ein Viertel seiner Komponenten. Als es durch das große Holztor hinauf zum Hotel geht, bei dem man in die vertäfelte Hotellobby auf einzigartige Art und Weise mit dem Auto vorfahren kann, soll die samstägliche Ausfahrt noch nicht zu Ende sein. Zu groß war der Fahrspaß auf den letzten Kilometern, die Fahrt hinauf auf das Telfser Hochplateau. Und so wird mit Blick auf den gewaltigen Sternbau des Interalpenhotel Tyrol noch einmal herumgedreht und wieder zurück gefahren. Nur ein paar Minuten, die grandiose Leistung des V12 spüren, die perfekt arbeitende Achtgang-Automatik und die Lässigkeit, mit der man im Grenzbereich flaniert. Nur eine gute Viertelstunde, dann schaltet sich wieder der Kopf ein und es geht zurück zum lang ersehnten Entspannungswochenende in Hotel, Restaurant und Wellnessbereich. Der Kurzurlaub hatte diesmal schon in München begonnen – mit dem Einsteigen und dem Zuschlagen der Fahrertür in München.
Testwertung
4.5 von 5

Quelle: Autoplenum, 2011-11-28

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