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Testbericht

Jürgen Wolff, 6. Januar 2012
2012 kommt die neue Generation des Mercedes SL auf den Markt, passgenau zum 60. Jubiläum der Baureihe. Bei der Vorstellung in Detroit wird einer seiner Urahnen mit auf die Bühne rollen - frisch renoviert.

Eine viertel Drehung am Zündschlüssel, ein Druck auf den metallenen Starterknopf direkt daneben - und nach ein bisschen unwilligem Georgel brabbelt der Sechszylinder los, als sei er frisch vom Band. Unterhalb der Beifahrertür bebt der durch ein Loch in der Karosserie nach außen geführte Auspuff im Rhythmus mit. Nummer 2 ist zu neuem Leben erwacht und bereit zu den ersten Runden auf der Einfahrbahn im Stuttgarter Mercedes-Werk.

Nummer 2 - das ist der älteste noch existierende Mercedes-Benz SL. Das zweite Exemplar, das jemals gebaut wurde. Fahrgestellnummer 194 010 00002/52. Nummer 1 ist - wie bei Prototypen üblich - längst ein Opfer der Schrottpresse geworden. Nummer 2 dagegen war immer im Besitz von Mercedes-Benz, wurde zwischendurch mal halbherzig teilrestauriert und döste ansonsten in seine Einzelteile zerlegt und gut konserviert vor sich hin. Bis jetzt. Im Classic Center der Schwaben wurde der SL in den vergangenen neun Monaten mit viel Aufwand und so originalgetreu wie irgend möglich restauriert. Am 9. Januar soll er in Detroits Ausstellungs-Zentrum "Cobo Hall" mit sattem Klang auf den Mercedes-Stand rollen - als Auftakt für die Vorstellung der neuen SL-Generation. Der Aufwand geschieht nicht ohne Grund: Beinahe auf den Tag genau vor 60 Jahren wurde der Ur-SL öffentlich vorgestellt - am 12. März 1952 zog er auf der Autobahn zwischen Stuttgart und Heilbronn an den extra angereisten Journalisten davon. Ein Jahr zuvor hatte der Mercedes-Vorstand beschlossen, wieder ins Renngeschäft einzusteigen und den Bau des "300 Super-Leicht" in Auftrag gegeben. Später wurde der Zusatz in "SL" abgekürzt. Der intern "W 194" genannte 300 SL mit der Chassisnummer 2 hat eine ganz besondere Geschichte. Er wurde ebenso wie "Nummer 1" in der Rennwerkstatt in Stuttgart-Untertürkheim unter der Leitung von Rudolf Uhlenhaut in Handarbeit aufgebaut. Während der Montage gab es an der Grundkonstruktion immer wieder Modifikationen. Nummer 2 hat denn auch in vielem den solitären Charakter bewahrt: Die Schweißnähte sind erkennbar von Hand gezogen, dem großen Stern vorne auf dem Kühler sieht man die Handarbeit ebenfalls an, Scheibenwaschbehälter, Auspuff und Sitzgestelle sind deutlich als Einzelanfertigungen zu erkennen.

Die nächsten neun Fahrzeuge, die dann 1952 auch hauptsächlich in den Rennen eingesetzt wurden, entstanden dagegen rationeller und unter Verwendung von Pressteilen im Werk Sindelfingen. Leichtbau wurde schon damals beim W 194 eingesetzt. Die Karosserie zum Beispiel bestand aus besonders dünnem Aluminium-Magnesium-Blech. Diverse Teile wurden - etwa an der Vorderachse oder beim Hebel der Handbremse - durch Bohrungen leichter gemacht. Einige Bauteile bestehen ganz aus leichtem aber teuren Magnesium - die Getriebeglocke etwa oder die Hinterachs- und Lenkgetriebegehäuse. Teile wie der Treibstofftank oder der Hauptbremszylinder waren aus Aluminium. Fahrfertig hatte der W 194 ein Gewicht von nur 1060 Kilogramm. Die Mühe lohnte sich: 1952 holten die 300 SL unter anderem einen Dreifachsieg beim Preis von Bern, einen Doppelsieg bei den 24 Stunden von Le Mans, einen Vierfachsieg beim Großen Jubiläumspreis vom Nürburgring und den Dreifachsieg bei der Carrera Panamericana in Mexiko.

Nummer 2 fuhr kein einziges dieser Rennen mit. "Er war als Ersatz- und Trainingsfahrzeug im Einsatz", sagt Michael Plag vom Mercedes Classic Center. Auch Unfälle hat Nummer 2 nie gehabt. Dem ist vor allem zu verdanken, dass der SL in so gutem Zustand in die Restaurierung ging, dass ungewöhnlich viele Originalteile wiederverwendet werden konnten. Am Heck war selbst das Original-Kennzeichen "W59-4029" noch vorhanden. Auch das abnehmbare Vierspeichenlenkrad aus Holz, der Schaltknauf, die Schalter und Instrumente - bis hin zur originalen Fliegeruhr noch alles komplett. Was nicht mehr vorhanden war, ließ sich zumeist beschaffen - wenn auch mit einigem Aufwand. Die Windschutzscheibe und die Seitenscheiben aus Plexiglas zum Beispiel. Vor 60 Jahren kamen sie von dem Plexiglas-Spezialisten Kienzle in Bad Cannstatt. Den gibt es heute noch - und er fertigte die Scheiben für den SL nach. Oder der Silberbronze-Lack. Der einstige Lieferant von 1952 fertigte auf der Grundlage von alten Fotos und Filmen einen modernen mattsilbernen Lack möglichst nahe am Original. Im Classic Center in Fellbach wurde das Fahrzeug zunächst noch weiter zerlegt. Jede Schraube wurde untersucht, instand gesetzt und wenn irgend möglich wieder verwendet. Selbst Bohrlöcher in der Karosserie, für die die Restauratoren keine Erklärung fanden, wurden erhalten. "Hier", sagt Plag und zeigt auf ein kleines Loch im Armaturenbrett gleich über dem Typenschild, "hat ursprünglich wohl mal ein kleiner Mercedesstern gesteckt. Wir wissen es nicht, haben aber das Bohrloch so gelassen."

Während der Restaurierung wurde zunächst der Gitterrohrrahmen vermessen. Das Ergebnis: Alle Maßabweichungen lagen auch nach 60 Jahren noch in vertretbarem Toleranzbereichen. Der extrem verwindungssteife Rahmen ist aus sehr dünnen Stahlrohr-Dreiecken zusammengesetzt und wiegt gerade mal 50 Kilogramm. Der Rahmen ist denn auch Schuld daran, dass der nur 1225 mm hohe SL schnell zu einer Design-Ikone wurde. Um ihm möglichst viel Stabilität zu verleihen, musste er im Bereich der Fahrgastzelle möglichst breit ausfallen. Das führte zu den spektakulären Flügeltüren, die tief ins Dach eingeschnitten sind und nach oben öffnen. Sie waren bei Nummer 2 zunächst nur reine Einstiegsluken und reichten gerade mal bis zur Gürtellinie des Fahrzeugs. Erst als die Sportkomissare 1952 bei der Mille Miglia darüber murrten, vergrößerte Mercedes die Türausschnitte, um möglichen späteren Protesten zuvor zu kommen. Der klassische Flügeltürer war geboren.

Besonders aufwendig war laut Plag die Restaurierung der empfindlichen und an einigen Stellen stark deformierten Originalkarosserie. Von Mai bis September 2011 arbeiteten die Restauratoren an ihr. Das Hauptziel, so Plag, war es auch da, "den Gesamtcharakter zu bewahren". So sind Unregelmäßigkeiten in der Oberfläche nach wie vor ebenso erhalten wie eine Asymmetrie im Seitenvergleich von rechts und links. "90 Prozent der Karosserie sind original", beteuert Plag.

Der 3-Liter-Motor des 300 SL stammt aus der "Repräsentations-Limousine" 300, besser bekannt als "Adenauer-Mercedes". Für den Renneinsatz frisierten die Ingenieure den ursprünglich 115 PS starken Motor unter anderem mit drei Solex-Sportvergasern und einer Sportnockenwelle auf 125 kW/170 PS. Diese Leistung, so zeigte sich jetzt in einem zehnstündigen Probelauf auf dem Motorenprüfstand, erreicht das Aggregat auch heute noch. So ist der 300 SL gut für 230 km/h. Damit der Motor überhaupt unter die flache Haube passte, wurde er 1952 im Winkel von 50 Grad nach links liegend eingebaut.

Es hat ihm nicht geschadet: Auch nach 60 Jahren faucht er so ungestüm los wie in den 1950ern - erst recht in einer geschlossenen Ausstellungshalle. Die richtige Soundkulisse für die Präsentation des neuen SL in Detroit.

Quelle: Autoplenum, 2012-01-06

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