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Testbericht

Stefan Grundhoff, 28. August 2020
Die Targa Florio ist eine der bekanntesten Rennstrecken der Welt. Die kurvenreiche Tour auf der süditalienischen Insel Sizilien war im vergangenen Jahrhundert lebensgefährlich; heute begeistert diese mehr denn je - gerade in einem Hypersportler wie dem Bugatti Divo.

In den späten 1920er Jahren führt an den legendären Bugatti-Rennern kein Weg vorbei. Das ist auf der bereits damals gefürchteten Targa Florio nicht anders als auf anderen Pisten. Zwischen 1925 und 1929 dominiert Bugatti mit dem Type 35 das Langstreckenrennen auf Sizilien und in den Jahren 1928 und 1929 zeigt insbesondere ein Pilot sein tollkühnes Können: Albert Divo. Der Type 35 als einer der erfolgreichsten Rennwagen aller Zeiten ist seinerzeit ein technisches Meisterwerk. Erstmals setzte Bugatti Anfang der 1920er-Jahre einen zweifach rollengelagerten und dreifach kugelgelagerten Kurbelbetrieb ein. Der dreht mit bis zu 6.000 U/min, um die acht Kolben in dem anfangs zwei Liter großen Motor zu bewegen. Zwei Vergaser versorgen den 95 PS starken Achtzylinder mit ausreichend Kraftstoff, wobei die Kraftübertragung über eine nasse Mehrscheibenkupplung erfolgt. Die ersten Type-35-Modelle fahren bereits über 190 km/h, spätere Type-35-B-Fahrzeuge mit dem 2,3-Liter-Achtzylinder leisten dank eines Kompressors bis zu 140 PS. Geschwindigkeiten jenseits der 215 km/h sind damit möglich - auch auf der Targa Florio, wo die längste Gerade nur sechs Kilometer lang ist.

Knapp hundert Jahre später geht es mit einem Bugatti wieder auf der Tour über die kurvenreiche Naturrennstrecke. Diesmal im neuen Bugatti Divo; ein Auto, das den spektakulären Chiron noch exklusiver werden lässt. Gerade einmal 40 Fahrzeuge werden derzeit in aufwendigster Handarbeit produziert. Exklusiver denn je kehrt er somit an die alte Wirkungsstätte von Albert Divo zurück, der dem 1.500 PS starken Hyperrenner seinen Namen gibt. Die alte Tribünenanlage ist ebenso verfallen wie große Teile der italienischen Insel. Sizilien hat schon bessere Zeiten gesehen und das ist sehr lange her. Doch der morbide Charme lässt den visionären Straßenrenner in der verblichenen Boxengasse wie ein Ufo aus einer ferner Galaxie erscheinen. Ein Druck auf den Taster und der aufgeladene Sechszehnzylinder erweckt zu brüllendem Leben. Die Fahrer der passierenden Multiplas und Unos reißen bei heißen 35 Grad im Schatten die Augen auf, zücken Mobiltelefone und machen Vollbremsungen, um einen Blick zu erhaschen. Hier ist sonst nicht viel los und ein Ufo landet auf Sizilien nicht jeden Sommer. Schon gar keines, dass 1.600 Nm maximales Drehmoment hat und aus dem Stand Dank der Kombination aus Doppelkupplung und Allradantrieb in 2,4 Sekunden auf Tempo 100 spurtet.

Technisch ist der Bugatti Divo ein Chiron - und zwar einer, der es etwas langsamer angehen lässt. \"Bei 380 km/h ist Schluss. Dann wird abgeregelt\", erklärt Ingenieur und Testfahrer Andy Wallace auf dem Beifahrersitz. Der Divo ist nicht für die absolute Höchstgeschwindigkeit ersonnen und daher sollten 380 km/h für das nötigste reichen. Die Kurven hier auf der alten Targa Florio Strecken sind dabei ein größeres Problem als die lokalen Ordnungsbehörden, die gleich mehrfach vorbeikommen, um die blaue Flunder aus Molsheim zu inspizieren und sich neben ihr ablichten zu lassen. \"Der Divo zählt heute schon zum Meilenstein in der über 110-jährigen Geschichte Bugattis\", sagt Bugatti-Präsident Stephan Winkelmann, \"mit dem jetzt ausgelieferten Divo beginnt für Bugatti die neue Zeitrechnung des modernen Coachbuilding. Es ist ein individualisiertes Meisterstück automobiler Handwerkskunst, eine kommende Legende.\"

Vom Bugatti Chiron unterscheidet sich der 5,8 Millionen Euro teure Divo durch das eigenständige Design und eine geänderte Aerodynamik. Der optische Höhepunkt ist Chefdesigner Achim Anscheidt und seinem Team mit den ungewöhnlichen 3D-Heckleuchten gelungen. 44 kleine Finnen bilden das ungewöhnlich illuminierte Rücklicht, das die meisten anderen Verkehrsteilnehmer nur sehen werden. Der Divo hat - perfekt für kurvenreichen Rennstrecken wie die Targa Florio - mehr Abtrieb, was Agilität und Querdynamik gleichermaßen steigert. Über den Lufteinlass auf dem Dach bekommt das Acht-Liter-Monstertriebwerk mehr Ansaugluft und eine verbesserte Anströmung. In den kommenden sieben Monaten sollen alle 40 Fahrzeuge an die Kunden ausgeliefert sein. Der Divo ist 35 Kilogramm leichter als der Chiron, wobei die geänderte Aerodynamik für 90 Kilogramm mehr Abtrieb sorgt. Das sind unglaubliche 456 Kilogramm Anpressdruck bei der Maximalgeschwindigkeit von 380 km/h. Für besonders viel Downforce sorgt der in der Höhe fest stehende und 1,83 Meter breite Heckflügel. Er ist 23 Prozent breiter als der des Chiron; lässt sich aber weiter für die individuellen Fahrzeugmodi winkelverstellen und arbeitet als Luftbremse größtmögliche Verzögerung. Dadurch werden deutlich größere Kurventempi ermöglicht, wobei der Franzose bei der Querbeschleunigung nunmehr 1,6 g realisieren kann.

Es geht von der Nordküste Richtung Collesano weiter nach Floripoli und dann Richtung Cerda. Die meisten Kurven sind uneinsehbar, doch die Radien erlauben überraschend flotte Geschwindigkeiten. Nicht nur mit dem millionenschweren Divo, sondern ein verblichener Fiat Ducato Transporter gibt eine beeindruckend schnittige Geschwindigkeit vor bis er letztlich von dem Boliden geschnupft wird. Der Fahrbahnbelag ist besser als auf weiten Teilen der Targa Florio. Dutzende von Kilometern der ehemals knapp 150 und später immer noch 108 Kilometer langen Naturrennstrecke sind längst zerborsten und beinahe unpassierbar - zumindest mit einem Fahrzeug wie dem zwei Tonnen schweren Bugatti. Allenfalls Geländewagen, Traktoren und uralte Italo-Laster nehmen diese entlegensten Abschnitte der einst so rasant zu fahrenden Piste heute noch unter die Räder. Sizilien ist wie der Rest Süditaliens arm. Da fehlt das Geld an allen Ecken und Enden - auch für die Erhaltung der Straßen.

Doch die Wellen und spröden Unebenheiten des Kurses setzen dem Divo überraschend wenig zu. Die Lenkung ist grandios - die Abstimmung von Federn und Dämpfer nicht anders. \"Da hüpft nichts\", beteuert Andy Wallace, der Chiron und seinen teuren Bruder kennt, wie kein anderer. \"Die ist viel Arbeit hereingeflossen. Es macht an der Bodenunebenheit einmal zack und der Divo sitzt wieder bombenfest auf der Straße\", strahlt der Engländer, der in den letzten Jahrzehnten alle nennenswerten Langstreckenrennen der Welt gewonnen konnte und den Bugattis seit Jahren den letzten Schliff gibt. Man glaubt es ihm - auch weil der Bugatti Divo betört, bezaubert und einen entführt. Entführt in eine Welt, von der der normale Autofahrer der 100- bis 200-PS-Liga nicht einmal zu träumen vermag. Stellt man den blauen Divo einmal kurz am Straßenrand ab, um sich mit einem Wasser zu erfrischen, bilden sich in Minuten Menschentrauben. Die Autobegeisterung ist hier auf Sizilien noch wie in den späten 1920er Jahren, als Arbeit Divo die internationale Konkurrenz am Steuer seines blauen Renners in Angst und Schrecken versetzte.

Bis 1977 zählte die Targa Florio zum bedeutendsten, aber auch gefährlichsten Langstreckenrennen der Welt. Erstmals starteten Fahrer im Jahre 1906 auf den Straßen der sizilianischen Unternehmer-Familie Florio. Nach wenigen Jahren nehmen die meisten Sportwagenhersteller an den marternden Rennen teil, um ihre Haltbarkeit und Qualität zu belegen. Anfangs beträgt eine Runde des \"Piccolo circuito delle Madonie\" 148 Kilometer; 1919 wird auf 108 Kilometern verkürzt. Die Strecke, entgegen zum Uhrzeigersinn gefahren - hat rund 1.400 Kurven und wird viermal zurückgelegt, was eine Gesamtlänge von 540 Kilometer ergibt. So lange wird die Fahrt heute nicht dauern - leider. Doch jetzt geht es noch ein paar Kilometer weiter. Auf den Spuren des Albert Divo - in seinem automobilen Andenken.

Quelle: Autoplenum, 2020-08-28

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