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Testbericht

Jürgen Wolff, 6. Dezember 2013
Eine Schneeflocke fällt vom Himmel - und die ganze Autofahrernation spielt verrückt. Was hierzulande zum Ausnahmezustand auf den Straßen führt, ist nahe des Polarkreises über Monate hinweg Dauerzustand.

Für beamtete deutsche Straßenplaner muss so der kollektive Albtraum aussehen: 736 Kilometer Straße - und gerade mal ein knappes Dutzend Autos, die einem während einer Tagestour entgegen kommen. Der Dempster Highway, die nördlichste öffentliche Straße Kanadas und die einzige, die rund ums Jahr über den Polarkreis führt, verbindet seit August 1979 Dawson City mit Inuvik in den Northwest Territories und ist speziell in den Wintermonaten vor allem eines: ziemlich leer. Dabei sorgt die Eiseskälte von durchaus mal unter -40 Grad Celsius dafür, dass der Highway in den Wintermonaten nordwärts noch einmal fast 200 Kilometer länger ist. Denn dann führt er über Inuvik hinaus weiter nach Tuktoyaktuk an die Nordküste Kanadas - zugefrorene Stücke des Mackenzie River werden einfach zur Straße umfunktioniert.

Der Dempster Highway ist typisch für die Fernstraßen hier im hohen Norden. In weiten Teilen folgt er einem alten Hundeschlittenweg aus der Goldgräberzeit. Er führt durch vielfältige Landschaften. Manchmal geht es in Tundra-Ebenen schnurgerade über zig Kilometer Richtung Horizont, dann wieder schlängelt er sich durch vulkanische Gebirge oder entlang vereister Fluss- und Bachläufe und durch weite, tief verschneite Nadelwälder. Besonders beeindruckend: Der North Fork Pass in den Ogilvie Mountains und die gezackten Spitzen der Tombstone Mountains.

Wer hier im Winter unterwegs ist, der ist über hunderte von Kilometern auf sich allein gestellt. Siedlungen gibt es nicht entlang der Route. Bis nach Eagle Plains, einem Rasthof kurz vor dem Polarkreis, sind es rund 400 Kilometer. Immer wieder stehen eingeschneite Autos am Straßenrand, die hier liegen geblieben sind und nun notgedrungen bis zum Frühjahr überwintern. Wer hier von der Straße abkommt, der hat schlechte Chancen, vor dem Tauwetter gefunden zu werden.

Die Fahrbahn selbst ist erstaunlich griffig - das liegt an dem tiefkalten Schnee. Tempo 100 ist erlaubt - und meist auch machbar. Ein-, zweimal am Tag planiert ein riesiger Schneepflug die Fahrbahn. Die meisten Autos fahren Straßenmitte, weichen erst auf ihre Fahrspur aus, wenn sich weit voraus mal Gegenverkehr ankündigt. Wo die Straße rechts und links endet, das ist meist nicht genau auszumachen unter dem Schnee. Und wer mit einer Räderseite über die Piste hinaus gerät, der kommt bestenfalls heftig ins Schlingern. Oder er fährt sich fest. Parken ist vor allem auf vielen langen geraden Strecken des Highways verboten. Nicht nur wegen der Gefahr des Steckenbleibens: In Notfällen wird der Highway auch als Start- und Landebahn für Flugzeuge genutzt.

Das einzige Rasthaus auf dem Weg in den Norden und kurz vor dem Polarkreis ist Eagle Plains, etwa auf halber Strecke bis Inuvik. Danach gibt es noch Stationen in Fort McPherson und Tsiigehtchic. Tankstelle, Autowerkstatt, Restaurant, Kneipe, Hotel, Souvenirshop, Telefonzelle, Kommunikationszentrale. Draußen auf dem Parkplatz steht ein Dutzend Sattelschlepper mit laufendem Motor und hell beleuchtet. Auf die Idee, hier den Motor abzustellen käme niemand - bei den Temperaturen wäre er am nächsten Morgen kaum wieder zu starten. Also verbläst es die Dieselabgase die ganze Nacht über. Wenn das Wetter zu schlecht zur Weiterfahrt ist, kann der Zwangsaufenthalt hier schon mal mehrere Tage dauern.

Die Highways hier sind voller Geschichten. Über den Royal Canadian Mounted Police Inspector William John Duncan Dempster zum Beispiel, nach dem der Highway benannt ist. Er war als junger Mann oft auf dem Schlitten-Trail unterwegs, der Vorläufer des Highways war. Und er führte im März 1911 den Suchtrupp, der die vier Männer der legendären "Lost Patrol" finden sollte, die nie an ihrem Ziel Dawson City angekommen waren. Er fand sie schließlich verhungert und erfroren. Oder über Harry Waldron, den selbst ernannten "Hüter des Polarkreises". Er verbrachte in den späten 1960ern seine Tage in einem Schaukelstuhl auf der Veranda seines Hauses am Straßenrand des Highways, im Smoking und mit einem Glas Champagner neben sich.

Der Dempster Highway ist erst 1979 eröffnet worden, war aber seit 1958 in der Planung. Er sollte das Mackenzie Delta im hohen Norden erschließen. Damals waren dort große Öl- und Gasvorräte entdeckt worden und die Kleinstadt Inuvik, die heute rund 3.500 Einwohner hat, war am entstehen. Parallel zur Straße sollte eine Öl-Pipeline entstehen. Doch angesichts der enormen Kosten wurde das Projekt Anfang der 1960er Jahre erst einmal auf Eis gelegt - gerade 115 Kilometer waren bis dahin gebaut worden. Erst als knapp zehn Jahre später im benachbarten Alaska ebenfalls Öl- und Gasvorkommen entdeckt wurden, nahm die kanadische Regierung das Straßenbauprojekt mit Milliardenaufwand wieder auf - aus Angst, von den USA im Wettlauf um die Rohstoffe abgehängt zu werden.

Schon die Konstruktion des zweispurigen Highways ist angesichts der unwirtlichen Klimabedingungen einzigartig. Er sitzt auf einem 1,2 bis 2,4 Meter dicken Kiesbankett, das ihn vom Permafrostboden darunter isoliert. Ohne das Kies-Polster würde die Permafrostschicht tauen und die Fahrbahn im Untergrund versinken. Die zwei Stahlbrücken über den Ogilvie und den Eagle River wurden von einem kanadischen Militär Regiment gebaut. Es ist nicht die einzige Fernstraße im hohen Norden des amerikanischen Kontinents, an der das Militär maßgeblichen Anteil hat. Auch der Alaska Highway war zunächst ein reines Militärprojekt. Tausende amerikanischer Soldaten bauten 1942 die 2.233 Kilometer lange Querverbindung vom kanadischen Dawson Creek zum us-amerikanischen Fairbanks in Alaska binnen der rekordverdächtigen Zeit von acht Monaten und 23 Tagen. Die Amerikaner hatten im Zweiten Weltkrieg die Invasion japanischer Truppen in Alaska befürchtet und wollten deshalb schnellstmöglich Truppen dorthin transportieren können. Bei jedem Wetter.

Quelle: Autoplenum, 2013-12-06

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