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Testbericht

Stefan Grundhoff, 8. Juni 2008
Die Standarten mit den Schweizer Farben flattern stolz im Wind und geben der dunklen Limousine bereits aus der Ferne etwas königliches. Als ob die Langversion im Opel Diplomat V8 nicht schon gediegen genug wäre.

Auch Opel hat einmal Luxuslimousinen gebaut. Bevor Insignia, Vectra, Astra und Corsa diem Marke in der wenig spektakulären Mittelklasse verschwinden ließen, dachten viele beim Logo mit dem Blitz vor allem an ein Auto: den Diplomat. Eine Luxuslimousine mit ausladenden Formen, die ihrem Namen alle Ehre macht. Das gilt insbesondere für den kosmosblauen Diplomat B 5.4 V8. In ihm gleiten wir gerade sanft über die Landstraße zwischen Groß-Gerau und Darmstadt. Die bunten Rapsfelder ziehen vorbei, die Luxuskarosse mit den beiden Schweizer Landesflaggen an den vorderen Kotfügeln gleitet wie ein fliegender Teppich über alle Unebenheiten hinweg. Die Passagiere betten sich auf blauen Stoffsitzen und genießen besonders im Fond den Komfort von Klimaanlage und verlängertem Radstand.

Die XL-Version des Opel Diplomat als Nachfolger von Kapitän und Admiral stammt aus dem Frühjahr 1976. Kaum mehr als ein paar handvoll Luxusversionen haben den um 15 Zentimeter verlängerten Radstand und bringen es so auf das Gardenmaß von 5,07 Metern. Ein Traum, wenn Opel wieder eine Luxuslimousine mit diesen Dimensionen auf die Räder stellen würde. Wie gut Luxusklasse und Opel zusammenpassen, zeigt die Ausfahrt vorbei an den Frühlingsfeldern und durch kleine Ortschaften. Immer wieder fallen die Blicke von Fußgängern und Autofahrer auf die glänzenden Standarten, denn die beiden Flaggen trägt der Diplomat mit besonderer Anmut und Grazie. Nie hat dieser einstige Konkurrent der Mercedes S-Klasse das Unternehmen Opel als Besitzer verlassen. Zu seiner aktiven Zeit wurde die elegant-kantige Limousine mit dem unübersehbaren US-Charme bei Empfängen und offiziellen Veranstaltungen in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn und in Bad Godesberg eingesetzt.

"Als der amerikanische Präsident Ford Deutschland besuchte, war das Begleitpersonal auch mit diesem Diplomat unterwegs", erzählt Heinz Zettl, bei Opel Vater über die Historienabteilung. "Opeleigene Fahrer chauffierten damit eine Fülle von Politikern vorwiegend aus dem Ausland."

Obwohl er schon im Frühjahr 1976 produziert wurde, ist der unter anderem mit einem Vinyldach ausstaffierte Edel-Opel nicht einmal 28.000 Kilometer gelaufen. Exklusiver geht es kaum. Außer man nennt eines von gerade mal vier Diplomat Cabriolets sein Eigen, die Opel als Einzelstücke in Handarbeit von den Firmen Fissore und Karmann fertigen ließ. Die Insassen des Diplomat müssen bei offiziellen Anlässen jeden Zentimeter des über fünf Meter langen hessischen Prachtmodells genossen haben. Denn noch heute strahlt der Diplomat B diese Lässigkeit nicht nur aus – er fährt sich auch so. Wer in den späten 60er und 70er Jahren einen Opel Diplomat fuhr, der hatte es geschafft, der gehörte zu den oberen Zehntausend. Zwischen 1969 und 1977 wurde der luxuriöseste Opel aller Zeiten produziert. Die Langversion war nicht nur selten, sondern auch teuer. Im August 1973 kostete der Diplomat 5.4 V8 Lang 36.600 D-Mark. Damit lag er auf Augenhöhe mit dem Mercedes 450 SEL, der mit 38.600 D-Mark kaum teurer war. Doch es ging auch günstiger. Die Version mit normalem Radstand startete im März 1969 bereits bei 20.260 D-Mark. Von den rund 21.000 gefertigten Diplomaten wurden knapp 10.000 mit dem kleineren 2,8-Liter-Triebwerk ausgeliefert. 11.000 Kunden wollten die pure V8-Power aus dem Hause Chevrolet und gönnten sich das Topmodell.

Die amerikanischen Designeinflüsse sind nicht nur durch die ausladenden Formen und die üppigen Chromelemente offensichtlich. Auch im Innenraum gibt es nicht nur Platz im Überfluss, sondern auch die seltene Unterbau-Klimaanlage, Alufelgen, Antennenfrontscheibe, Holzintarsien, Vinyldach, elektrischer Fensterheber und eine Batterie von Druckschaltern an der Oberseite des Armaturenbretts. Ungewöhnlich für eine Chauffeurlimousine mit langem Radstand: er verfügt weder über Kopfstützen für die Fondpassagiere noch über standesgemäße Ledersitze. Aber auch Velourssitze waren in den 70ern für viele ein Zeichen von automobilem Luxus.

Wer die blaue Diva besteigt, der setzt sich in ein automobiles Schlaraffenland. Der Diplomat bietet nicht nur Platz im Überfluss, sondern lässt einen für die Dauer der Fahrzeit auch von der Automobilhistorie der frühen 70er Jahre träumen. In Zeiten, als CO2 und andere Schadstoffe nicht einmal als dunkle Wolken am hellen Horizont standen, protzte der Diplomat mit einem Image, das bisher kein anderes Fahrzeug der Rüsselsheimer Volksmarke mehr hatte. Die lange Version dürfte dabei nur selten von den eigentlichen Hauptdarstellern bewegt worden sein. Die saßen gestern wie heute ausschließlich in der zweiten Reihe und genossen den exzellenten Fahrkomfort. Fahrer wie Insassen werden - insbesondere nach heutigen Maßstäben - auf besonders sanfte Art entschleunigt. In einem Diplomat fährt man nicht schnell durch Kurven oder beschleunigt unstandesgemäß am Ortsausgang. Stattdessen lässt man die beiden Standarten bei gemäßigter Fahrt sanft im Wind flattern und genießt den sanft im Hintergrund blubbernde Achtzylinder.

Dabei ist es nicht so, als könnte der große Blaue nicht, wenn er nur wollte. Der Chevrolet-Motor lässt vom Start weg Gefühle wie in der amerikanischen Staatslimousine aufkommen. Statt des europäischen, aber wenig passenden Sechszylinders mit 2,8 Litern Hubraum und 165 PS bietet der 327er-Langhuber 169 kW/230 PS bei 4.700 U/min. Wer es darauf anlegt, drückt den 1,7 Tonnen schweren Hecktriebler über 200-km/h-Marke. Das maximale Drehmoment von 427 Nm bei 3.100 Touren ist auch nach heutigen Maßstäben noch beachtlich. Die Kraftübertragung auf die Hinterachse geschah über die dreistufige Turbo-Hydramatic aus dem Hause General Motors. Für derartige Leistungen gab es nichts im Opel-Konzernregal. Der hochrangige Passagier im Fond hinten rechts hat den exzellenten Federungskomfort sicher schnell lieben gelernt. Hier haben die Opel-Ingenieure ganze Arbeit geleistet. Statt der üblichen Starrachse flaniert das Diplomatenheck auf einer aufwendigen und vergleichsweise teuren DeDion-Hinterachse, die sich spürbar auf den Langstreckenkomfort auswirkt. Optional verfügbar die in den 70er Jahren besonders beliebte Niveauregulierung. Doch nicht nur bei der Komfortausstattung macht der Opel Diplomat keine Kompromisse. Neben üppigen Knautschzonen, einer besonders unfallsicheren Fahrgastzelle und Automatikgurten sorgten Scheibenbremsen rundum für ein Gefühl wie in Abrahams Schoß. Fahrer und Gefahrener störte sich an dem Durchschnittsverbrauch von mindestens 20 Litern auf 100 Kilometern damals ebenso wenig wie an dem Spurtpotenzial 0 auf 100 km/h in zehn Sekunden.

Das Ende der sagenhaften Diplomaten-Ära kam denn auch in der zweiten Hälfte der 70er Jahre. Die Ölkrise war für den Niedergang von Opels Luxuslimousine dabei weit weniger entscheidend als die geringe Akzeptanz bei der zahlungskräftigen Kundschaft. Wer nobel reisen und repräsentieren wollte, der entschied sich für die Mercedes S-Klasse oder die ebenfalls im Jahre 1977 vorgestellte 7er Reihe von BMW. So wurde auch der mächtige Diplomat 1977 von einem modischen und europäischen Opel Senator abgelöst. Doch auch er hatte es gegen die übermächtige Premiumkonkurrenz schwer und wurde letztlich nach der zweiten Generation eingestellt. Bleibt abzuwarten, ob General Motors noch einmal einen Vorstoß in die Luxusliga wagt. Schließlich hat man sich nach wenig erfreulichen 90er Jahren sogar von der großen Omega-Klasse verabschieden müssen. Luxus und GM - das gibt es bis auf weiteres nur in den USA, mit dem Edelableger Cadillac. Der stellt mit dem DTS nach wie vor die Limousine des amerikanischen Präsidenten her. So schließt sich der Kreis.

Quelle: Autoplenum, 2008-06-08

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