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Testbericht

Benjamin Bessinger/SP-X, 10. Mai 2019
SP-X/Rüsselsheim. Joachim Zok schwitzt und schimpft, und das aus gutem Grund. Heute hat er mal wieder einen Knochenjob. Er ist Mechaniker im Team von Opel Classic, trägt die Verantwortung für den „Lutzmann“ und steht deshalb jetzt an der großen Kurbel, mit der er den liegenden Einzylinder im Heck des grünen Greises zum Leben zu erwecken versucht. Diesen Kraftakt muss der eher zierliche Schrauber in diesem Jahr überdurchschnittlich oft zelebrieren. Schließlich feiert Opel 2019 den 120. Geburtstag des Automobilbaus und der Lutzmann spielt dabei die Hauptrolle. Denn dieser filigrane Motorwagen war es, mit dem die Geschichte 1899 begonnen hat.Zwar wurde in Rüsselsheim schon davor reichlich geschuftet und mobil gemacht, war Opel damals doch ein großer Hersteller von Nähmaschinen und Fahrrädern. Doch haben die Gebrüder Fritz und Wilhelm Opel früh erkannt, dass die Zukunft dem Automobil gehört und deshalb am 21. Januar 1899 für 116.678 Mark die „Anhaltinische Motorwagenfabrik“ des Dessauers Friedrich Lutzmanns gekauft. Der war seit 1891 „Hofschlossermeister“ des Großherzogs von Sachsen-Anhalt, hat auf der Internationalen Automobilausstellung von 1897 seinen „Pfeil“ vorgestellt und davon bereits eine Handvoll verkauft, als er mit Opel handelseinig wird und von der Massenmotorisierung zu träumen beginnt. Dafür wechselt er als „Direktor des Kraftwagenbaus“ mit seiner gesamten Werkstatt und den meisten seiner Mitarbeiter an den Main und stellt schon in Frühjahr das erste Auto für Opel auf die Räder.Wobei das mit dem „Auto“ so eine Sache ist. Denn mit dem, was wir uns heute unter einem Auto vorstellen, hat der Lutzmann nicht viel zu tun und außer den vier Rädern hat der Erstling mit aktuellen Modellen wie einem Corsa oder Astra nichts, aber auch gar nichts mehr gemein. Viel eher erinnert er an eine Kutsche, bei der jemand die Deichsel und die Pferde vergessen hat. Selbst Lenkrad und Pedale fehlen. Von einer echten Karosserie ganz zu schweigen. Stattdessen sitzt man auf offenen Lederbänken, von denen Opel je nach Wunsch eine oder zwei gegenüberliegende montiert. Denn von „Serienfertigung“ ist damals noch keine Rede und jeder Wagen sieht anders aus. Aber immerhin gibt es schon ein paar Extras: Pneumatik-Reifen anstelle der Vollgummi-Pneus werden mit einem Aufpreis von 250 Mark berechnet, ein Verdeck kostet 200 und ein „abnehmbarer Kindersitz“ 50 Mark.Opel übernimmt den Wagen aber nicht einfach so. Die Söhne des wenige Jahre zuvor gestorbenen Firmengründers Adam Opel erweisen sich als profunde Tüftler und optimieren gleich mal die Konstruktion: So überarbeiteten die jungen Automobilentwickler die kettengesteuerte Lenkung und konstruierten einen tieferen Rahmen mit kräftigen Längstraversen um die Stabilität zu erhöhen und den Schwerpunkt abzusenken. Außerdem drängen sie Lutzmann zum Leichtbau und drücken das Gewicht so auf 520 Kilogramm. Das ist wichtig, wenn einem anfangs nur ein Zylinder und 3,5 PS zur Verfügung stehen. Die Kraftübertragung zur Hinterachse übernehmen Zweiganggetriebe, Treibriemen und Kette.So mühsam die Startprozeder mit dem Lutzmann ist, so leicht lässt er sich fahren: Die zwei Gänge wechselt man ohne groß zu kuppeln, das Tempo regelt man mit einem Hebel am Lenkrad und die Bremse hat buchstäblich Hand und Fuß. Denn egal, ob man außen am Hebel zieht oder das kleine Pedal im Boden tritt, immer wirkt die Kraft auf den Transmissionsriemen - und verpufft fast unbemerkt:  Wer nicht rechtzeitig in den Leerlauf schalet, wird den Motorwagen schwerlich zum Stehen bekommen.Dabei ist der Wagen für damalige Verhältnisse schon ziemlich flott: Während der Einzylinder mit bis zu 650 Touren eher gemütlich dreht, beschleunigt der Lutzmann auf bis zu 30 km/h und ringt dem Fahrer reichlich Aufmerksamkeit ab. Dabei hat der mit den Widrigkeiten von Wind und Wetter schon genug zu schaffen auf dem offenen Bock, genau wie mit der Sitzposition ganz hinten im Auto und mit der ungewöhnlichen Lenkkurbel.All das ist ein Grund dafür, dass die Zeit des Lutzmanns nur kurz währt: Die Opels erkennen früh, dass andere Konstrukteure alltagstauglichere Konzepte anbieten und geben Lutzmann deshalb für eine Lizenz des französischen Herstellers Darraq den Laufpass. Allerdings verabschiedet sich der Patentmotorwagen mit einem Knall: Im letzten Jahr der Herstellung feiert Opel seinen ersten Erfolg im Motorsport. Mit einem modifizierten, extra leicht bauenden, 5 PS starken Patentmotorwagen siegt Heinrich Opel beim Bergrennen auf den Kaiserstuhl und erklimmt die 4,5 Kilometer lange Bergstrecke in atemberaubenden 17 Minuten und 20 Sekunden.Zwar wurden in Rüsselsheim zwischen 1899 und 1901 immerhin 65 Lutzmann gebaut und zu Preisen ab 2.650 Mark verkauft. Doch haben es davon gerade einmal drei Exemplar in die Gegenwart geschafft. „Und nur einer davon ist regelmäßig unterwegs“, sagt Lutzmann-Techniker Zok mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn der Mechaniker beobachtet das Treiben um den Lutzmann mit gemischten Gefühlen. Natürlich freut er sich, dass der Wagen so oft einen Einsatz hat und jeder bewundern kann, wie gut er in Schuss ist. Schließlich kommt der erste Opel bei Rallyes wie der Veteran von London nach Brighton klaglos und servicefrei uns Ziel. Doch wenn er ans Anlassen denkt, brennt ihm schon im vorauseilenden Gehorsam der Arm. Anderseits kann er von Glück sagen, dass der Lutzmann heute nur noch im musealen Einsatz ist und er nicht schon zur Jahrhundertwende für Opel gearbeitet hat. Denn als der Klassiker noch ein Neuwagen war, brauchte er alle fünf bis zehn Kilometer eine große Inspektion.Mit unserer heutigen Vorstellung von einem Opel hat der Patent Motorwagen nicht viel gemein. Doch wenn diese motorisierte Kutsche nicht 1899 aus den Werkshallen gerumpelt wäre, gäbe es heute wahrscheinlich auch keinen Astra oder Corsa. Denn mit ihm hat vor 120 Jahren die Geschichte des Automobilbaus in Rüsselsheim begonnen.
Fazit
Mit unserer heutigen Vorstellung von einem Opel hat der Patent Motorwagen nicht viel gemein. Doch wenn diese motorisierte Kutsche nicht 1899 aus den Werkshallen gerumpelt wäre, gäbe es heute wahrscheinlich auch keinen Astra oder Corsa. Denn mit ihm hat vor 120 Jahren die Geschichte des Automobilbaus in Rüsselsheim begonnen.

Quelle: Autoplenum, 2019-05-10

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