Erfahrungsbericht Chevrolet Camaro 6.2 V8 LS3 (432 PS) von Blobbo000, März 2023
Die amerikanischen Pony- und Musclecars hab ich schon immer gemocht. Wollte etwas unkompliziertes, daher hatte ich für 3 Jahre einen solchen Camaro.
Die Optik natürlich cool, retromäßig, 6,2 Liter, 432 PS macht den Eindruck von ordentlich Muskeln.
Doch gewissermassen ist dieses Auto ein Blender. Er sieht so oldschoolig aus, ist es aber nicht wirklich. Obwohl er im Vergleich zu anderen wohl noch wenig Schnickschnack hat, ist mir das eigentlich zu viel. Dazu das beengte Gefühl im inneren, wie typisch für moderne Fahrzeuge, besonders Coupes dieser Art. Obwohl es ja nun wirklich kein kleines Auto ist. Die kleinen Fenster, die dicken A-Säulen,... hab mich immer ziemlich eingezingelt gefühlt in dem Wagen. Sicht nach schräg-hinten durch die monströsen C-Säulen praktisch nicht vorhanden.
Auch mit der Sitzposition und Ergonomie kam ich nicht gut zurecht. Bei recht tief eingestelltem Sitz ließ sich eine für mich angenehme Sitzposition finden, aber da hatte ich praktisch keinen richtigen Überblick, hatte höchstens das hintere Ende der schönen, langen Motorhaube im Blick, war zu tief und fühlte mich nicht als Herr über das Auto. Stellte ich die Höhe so ein, dass der Überblick ok und so auch das Gefühl fürs Auto besser war, kam der Dachholm schon in unangenehme Nähe des Kopfes und mit der Ergonomie kam ich dann nicht mehr zurecht. Trotz allen Einstellversuchen mit Neigung der Sitzfläche und Lehne, Verändern der Lenksäulenstellung,... Ich bekam keine Ergonomie hin, die angenehm und auf Dauer schmerzfrei für mich gewesen wäre. So war das Sitzen in dem Auto immer ein mehr oder weniger schmerzhafter Kompromiss für mich.
Und dann ist da noch das mit den Muskeln, die man von einem 6,2 Liter mit über 400 PS erwartet, jederzeit zu spüren, wenn man das Gaspedal niederdrückt. Das ist aber nicht der Fall. Zwar nimmt er aus niedrigsten Drehzahlen sauber Gas an und zieht an, auch nicht unbedingt langsam, aber es fühlt sich träge an, da sind leider nicht viel Muskelreserven, wenn das Pedal weiter runtergedrückt wird. Er hat die erwarteten Muskeln aber schon noch wo versteckt, und zwar in der Drehzahl. Um sich halbwegs spritzig anzufühlen, muss der Motor immer auf 2500 Touren als absolutes Minimum gehalten werden, so richtig muskulös fühlt sich das da aber noch lange nicht an. Ab 3500 Touren beginnt er erst langsam stärker aufzuwachen, bei 4000 Touren hat es so einen Knackpunkt, als ob er ab da erst richtig einzuschnaufen beginnt, und wenn die Nadel über die 4500 Touren geht (max. Drehmoment bei 4600) ist der volle Punch da und er marschiert wie ein Tier. Wenn man aber auf der normalen Strasse unterwegs ist, kann man praktisch kaum mit solchen Drehzahlen unterwegs sein. Die Gesamtübersetzung ist ja sooo lang. Wenn man im 3. Gang in die Drehzahlregion kommt, wo der Motor anfängt, bei Druck aufs Gas sich kräftig anzufühlen, hat man schon gut 110 km/h drauf, möchte man aber richtig Muskeln spüren, muss man noch länger auf dem Gas stehen bleiben, und dann auf einmal reisst er richtig an und... Zack, Tacho 150, 160,... Hoppala!
Bei dieser Auslegung von Motorcharakteristik und Übersetzung kann man praktisch beim Fahren auf normaler Strasse die Muskeln nur in den Gängen 1 und 2 mal kurz auskosten. Ok, 1. Gang nicht wirklich sinnvoll, brachial und ringt um Traktion, im 2. Gang kann man das ein oder andere Mal durchziehen und mal brachial beschleunigen, aber das ist ja nur mal Spass für wenige Sekunden... Aber wenn jemand mit mit 70 km/h auf der Landstrasse fährt und man würde gern beim Überholen etwas Muskeln spüren, nix da. Man kann zügig überholen im 3. Gang, mehr aber auch nicht. Es löste bei mir immer den Gedanken "Mann, komm schon in die Gänge!" aus. Ok man könnte auch bei 70 in den 2. schalten, dann wär das ganz anders, aber auch schon wieder unnötig brachial.
Die Schaltung hat kurze Wege und ist knackig, allerdings in Verbindung, damit, wie sich der Motor und die stramme Kupplung beim Schalten und Kuppeln verhalten, ist das ganze nicht wirklich harmonisch abgestimmt. Man muss bei dem Auto schon ziemlich gefühlvoll sein, um beim Cruisen nicht rucklig zu fahren. Am geschmeidigsten schaltet es sich, wenn man den Motor dreht und Power abverlangt.
Zum Thema Cruisen, das ja irgendwie zu den Musclecars gehört muss ich sagen, dieser Camaro ist leider kein guter Cruiser, da müsste er allgemein geschmeidiger sein, Fahrwerk, Schaltverhalten, Motor bräuchte viel mehr Kraft und Souveränität in den unteren und mittleren Drehzahlen,...
Dann würde er auch dem Eindruck den er optisch und den Daten nach als Wagen mit ordentlich Muskeln entsprechen, so leider nicht.
Ansonsten wohl ein zuverlässiger und verhältnismäßig günstiger Wagen, hat bei mir keinerlei Probleme gemacht, dank der Auslegung und langen Übersetzung ist es kein Problem, damit mit 11-12 Litern/100km unterwegs zu sein, aber den erwarteten Fahrspaß hat mir der Camaro V8 nicht gebracht.