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Testbericht

Sebastian Viehmann, 12. Juni 2008
Vor 25 Jahren sahen Kombis plötzlich furchtbar alt aus. Der erste Minivan von Chrysler prägte ein neues Fahrzeugsegment und behauptet sich mit ein paar Blessuren bis heute im Meer der Geländewagen und Crossover.

1983 sah eine Amerikanerin auf einem Restaurant-Parkplatz in Houston ein völlig neuartiges Auto, das sie sofort begeisterte. Eckig-modern gestylt, größer als ein Kombi, aber nicht zu sperrig, mit viel Platz und allerlei Komfort: Das schien das optimale Familienfahrzeug zu sein. "Was bitte ist das, und wo kann ich es kaufen?" wollte die Frau von den Passagieren wissen. Die Chrysler-Manager, die mit dem frisch ausgelieferten Minivan zum Mittagessen unterwegs waren, grinsten über beide Ohren – und ahnten, was für einen Riesenerfolg der Wagen haben würde.

Chryslers Minivan traf genau den Nerv der Baby Boomer-Generation, die gerade fleißig dabei war, selbst Familien zu gründen. Ein Van war 1983 an sich natürlich nichts Neues. Doch Vorläufer wie der VW Bulli oder Ford Club Wagon waren im Prinzip nackte Nutzfahrzeuge mit Fenstern und oft zu sperrig für den Alltagseinsatz. Selbst als in den 70ern das "Vanning" in Mode kam, waren die meisten Vans kein Ersatz für den Familienkombi, sondern lauschig ausgebaute Liebeshöhlen für Blumenkinder oder bunt bepinselte Wohnmobile für Surfer und Individualisten. Der Kombi blieb das Family Car schlechthin und hatte beachtliche Dimensionen erreicht. Hubraum ohne Ende, Platz für bis zu neun Personen, magnetische Spieltische für Kinder und ausgeklügelte Heckklappen, die in mehrere Richtungen öffneten oder per Knopfdruck im Laderaum verschwanden: Nicht der Minivan hat den variablen Innenraum erfunden, sondern der Kombi.

Doch dann kam die Ölkrise. Und die riesigen Pampers-Bomber mussten mächtig abspecken. Die Kombis wurden sparsamer, aber auch erheblich kleiner. Zu klein für viele Familien.

Die Lösung lag bei Chrysler auf dem Reißbrett: Ein Mittelding zwischen Van und Kombi, aufgebaut auf einer PKW-Plattform, mit Platz sparendem Frontantrieb. Es passte sowohl durch die Waschanlage als auch in die durchschnittliche amerikanische Garage. "Der erste in Amerika gebaute Van, der kein Nutzfahrzeug ist", schwärmte die Zeitschrift Car & Driver. Der Wagen wurde auf Anhieb ein Erfolg und ist bis heute der meistverkaufte Minivan in den USA. Die Karriere des Chrysler-Vans begann allerdings bei seinen Schwestermarken – in Form des Plymouth Voyager und Dodge Caravan. Erst 1990 startete die Van-Plattform unter dem Chrysler-Markenlogo. Als "Town & Country" mit Seitenverkleidungen aus Holzimitat sollte er an Chryslers große Luxus-Kombis vergangener Jahrzehnte erinnern. Auch in Europa schrieb der Minivan, ab 1991 als Chrysler Voyager verkauft und in Österreich gebaut, Erfolgsgeschichte - trotz der immensen Konkurrenz, die ihm mit Renault Espace & Co. entgegen fuhr.

Mit jeder neuen Modellgeneration wurde der Voyager rundlicher und mit immer mehr Komfort voll gestopft. Das aktuelle Modell Grand Voyager gleicht einem Businessjet auf Rädern. Vom DVD-Entertainment-System bis zur Drei-Zonen-Klimaautomatik kann man alles ordern, was das Reisen angenehmer macht. Von der Schiebetür über die Sitze bis zur Kofferraumklappe lässt sich alles, was beweglich ist und Arbeit machen könnte, elektrisch falten, schieben oder klappen. Nicht weniger als zehn Becher- und Flaschenhalter sind in der Passagierkabine verteilt. Die hinteren Sitzreihen verschwinden per Knopfdruck im Kofferraumboden und machen die Familienkutsche zum Möbeltransporter.

Mit dem "Swivel’n Go"-System an Bord lassen sich die Fond-Sessel gar um 180 Grad drehen, so dass sich die Passagiere gegenüber sitzen und dazwischen noch ein ausklappbarer Tisch passt.

Auf der Straße bleibt der Grand Voyager ein typischer Ami. Die Fahrdynamik hat er nicht erfunden, die Automatik ist ziemlich träge, und beim Durchschnittsverbrauch (9,3 Liter mit dem 163 PS-Diesel, 12,3 Liter mit dem V6-Benziner) kommt einem nicht gerade das Wort Sparsamkeit über die Lippen. Dafür entschädigt der Grand Voyager mit zivilen Preisen, viel Luxus und dem American Way of Drive: Einsteigen, sich in die Sitze lümmeln, Tempomat einstellen und nach zehn Stunden entspannt wieder aussteigen.

Doch in der Autowelt – besonders der amerikanischen – heißt es fressen und gefressen werden. Als der Minivan gerade die letzten kümmerlichen Reste des US-Kombis abnagte, wurde er selbst mit voller Wucht von der SUV-Welle erwischt. Und diese Welle ebbt trotz steigender Ölpreise nur langsam ab. Die meisten US-Hersteller haben gar keine Minivans mehr im Programm. Chrysler hält noch das Fähnchen hoch – und hofft, nachträglich als Gewinner dazustehen. Denn wenn sich das Van-Segment eines Tages vom langen Siechtum erholen sollte, könnte Chrysler als einziger US-Autobauer der vornehmlich japanischen Konkurrenz etwas entgegensetzen.

Quelle: Autoplenum, 2008-06-12

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