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Testbericht

automobil-magazin.de, 23. Dezember 2010
Test Mercedes-Benz C 63 AMG mit Performance-Plus-Paket.

Kofferraum und Solidität nur als Alibi? Wenn die brave C-Klasse, die Vitamine A, M und G verabreicht bekommt, geschieht das ohne Familienplanungs-Nebenerscheinungen und das Klischee „ Kinder kriegen, Sportwagen verkaufen“ ist damit widerlegt. Denn der C 63 AMG erscheint als ein rationales Investment in Sachen praktizierter Familienpolitik: fünf Sitzplätze, genügend Kofferraum und Alltagsnutzen mit dem gepflegten Auftritt der C-Klasse. Kritische Fragen zur Rationalität sind lediglich ganz vorne, am Motor, erlaubt.

Godzilla fürs Brötchenholen? Ein archaischer 6,3-Liter-V8, politisch unkorrekte 487 PS mit dem Sportpaket (+ 30 PS, + 7.000 Euro), heftige 600 Newtonmeter am hinteren Breitreifenpaar (Continental 255/35 ZR18H; vorne: 235/40 ZR18V). Kontrahenten? Tempomessgeräte und Blitzanlagen. Natürliche Feinde? Sehr, sehr wenige. Ein Gallardo, ein 911 Turbo … Und CO2-Ausstoss und Verbrauch? Wenn die Dinos ausgestorben sind, dann haben sie hier wohl einen vergessen: 15,9 Liter im Testverbrauch.

Bei Vollgas kann man, wenn der Hochdrehzahl-V8 Treibstoff und Frischluft nach allen Regeln der Kunst ausbeutet, der Tanknadel beinahe beim Fallen zusehen. Langstrecken macht der C 63 aber zu Kurzstrecken – nicht vom Weg, jedoch von der Zeit. Bassiges Vollgas hoch bis 8.000 U/min ist ein Nackenhaare aufstellendes Elementarerlebnis. Wenn körperliche Gewalt am Arbeitsplatz eines Testers tatsächlich existiert, dann ist sie das wohl: 4,4 Sekunden bis 100, 13,9 bis 200 km/h. Die Tachonadel zuckt in der Performance-Variante auf 280 km/h. Der Schwabe kann immer und überall. Unten, oben, ganz oben. Das heißt: Vergessen Sie alles, was Sie über Nenndrehzahl, maximales Drehmoment und Nennleistung so gelernt haben. Es spielt hier einfach keine Rolle – zumindest solange es geradeaus geht.

Die Lenkung gibt vor, die Hinterachse sagt an. Alte Regel: Bei Nässe in Kurven nicht zu früh aufs Gas. Allerdings gilt das hier auch für Trockenheit. Bei mutigem Gasfuß und deaktiviertem ESP wischt das Heck mit extrem breitem Wischtuch. ESP feiert Blitzeinsätze und regelt den Schlupf, wenn notwendig brutal. Diese Wucht macht die Sportlimousine in ihrem Konkurrenzumfeld einmalig. Das Handling eines BMW M3 geschieht klinisch, cool, perfekt, der C 63 dagegen zimmert sein Drehmoment mit gewaltigem Punch auf die Straße. Vollgas geben ist nicht die Kunst, sondern ohne ESP das Auffangen. Schon die zweite Stufe des dreistufigen Sport-ESP, der „Sport Handling Mode“, lässt Übersteuern zu. Unter „ESP off“ erfährt der Lenkdompteur dann die volle Dynamik – blitzartig, dramatisch, quer. Feinnerviger ist der M3, monumentaler und eruptiver der C 63. Dafür kann man den Münchener lieben, aber genauso den Boliden aus Affalterbach.

Das viel Dynamik zulassende Sportfahrwerk ist ein Traum auf guter Straße, wenn das Fahrzeug am Asphalt klebt, die präzise, aber nicht penetrant direkte Servolenkung lässig die Richtung einstimmt und der bullige 6.3 bei 1.500 Umdrehungen und Ortstempo im fünften Gang lässig brodelt. Die intensivere und straffe Leseart der Straße macht sich erst bemerkbar, wenn die Vertikalbewegungen bei ungehobeltem Bodenbelag zunehmen oder hohe Bordsteine hölzern erparkt werden. Wobei das mit tiefer, aber nicht zu bordsteinnaher Frontschürze besser gelingt als in so manchem Sportwagen mit Aufsetz-Garantie. Wie dort fällt das Einlenken sportlich aus und die Verzögerung mit der Hochleistungsbremsanlage des Plus-Pakets brachial.

In welchem Modus die sportive AMG-SPEEDSHIFT-PLUS-7G-TRONIC nun auch steht, der 6.3-V8 schwimmt im Drehmoment immer oben. „S“ ist schärfer, „M“ mit den Schaltwippen purer. Die Schaltgeschwindigkeit lässt sich (wie mit dem M3 DKG) zwar nicht beeinflussen, aber das richtet der große Hub – schwelgerisches Hubraum-Vollbad versus graziles Gangstakkato.

Was zu demonstrieren ist, wird in Fahrt demonstriert. Das Interieur kleidet sich in dezentem Sportlook (Karbonapplikationen, Sportpedalerie, AMG-Schwellerleisten), mit in Stoff und Lederimitat bezogenen AMG-Sportsitzen, dreispeichigem AMG Performance-Sportlenkrad mit Alcantara-Griffflächen und gut zu konsumierenden Armaturen- und Schalterinseln. Die Instrumente (mit dem „6.3-V8“ im Drehzahlmesser; es prangt auch am Kotflügel oder unter dem Karbonheckspoiler) sind nachts perfekt ablesbar, jedoch nicht tagsüber. Im Fond fällt der fünfte Platz, über der Kardanwelle und hinter den massigen Schalensitzen, etwa schmal aus. Aber Platz ist genau das, was dieser als Limousine getarnte Sportwagen konventionellen Sportwagen voraus hat.

Sportwagen mit Kinderwagenmission: Platz, Ablagen, Kofferraum, … alles sehr gute Alibis. Und wenn die klassischste Form der Jungfamilienbewegung - der Kombi – dann doch gewünscht ist: Der C 63 AMG fährt auch als T-Modell – das macht ihn vollends zum schärfsten Ritt für Schnullerträger.

Kult ist der C 63 AMG schon heute, doch schon bald ist er auch von gestern. Der hochemotionale 6,3-Liter-V8 wird durch den neuen 5,5-Liter-Biturbomotor, der schon in CL- und S-Klasse Dienst tut, ersetzt: Mit dann 571 PS, 900 Nm und etwa drei Liter weniger Verbrauch – ein Gebaren, welches dem berauschenden und tief beeindruckenden 6.3-Liter-Saurier vielleicht das Leben gerettet hätte. (le)


Quelle: automobilmagazin, 2010-12-23

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