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Testbericht

Marcel Sommer, 22. Dezember 2015
Im britischen Solihull nahe Birmingham wird seit fast 70 Jahren der Land Rover Defender produziert. Ein Blick hinter die Kulissen verrät, warum dieses Modell schon zu Lebzeiten zur Legende wurde.

Es ist früh am Morgen, dunkle Wolken ziehen über Birmingham und die ersten Scheibenwischer werden aktiv. "Wenn Sie schönes Wetter suchen, sind Sie hier falsch", hustet der Pförtner unter seinem Schal hervor und fügt hinzu: "Herzlich willkommen im Jaguar Land Rover Werk Solihull." Den Markennamen hätte er sich allerdings sparen können, da sowohl die Jaguar als auch die Landy- und Range-Dichte schon außerhalb der Schranken und erst recht dahinter spürbar zunimmt. Anders als auf einem japanischen oder so manch deutschen Werksgelände sind zwar noch jede Menge Fremdfabrikate zu erblicken. Doch liegt das natürlich daran, dass nicht jeder Werksangestellte mehr als seinen kompletten Jahreslohn in einen Neuwagen investieren möchte, den er jeden Tag zusammenschraubt.

Der Begriff des Zusammenschraubens ist, soviel sei bereits an dieser Stelle verraten, in keinster Weise abfällig zu verstehen. Denn hier sind noch echte Menschen mit echten Schraubenschlüsseln zu Gange. Und genau das wird schon direkt zu Beginn der Produktionslinie des großen Stars, der rollenden Legende der Marke Land Rover offenbart. Denn der Defender wird seit fast 70 Jahren an dieser Stelle zusammengesetzt und nach drei Tagen per Zündschlüsselumdrehung zum Leben erweckt. Eine Produktionszeit, die leider sehr schnell deutlich macht, warum Land Rover nicht direkt von einer kommenden siebten Defender-Generation spricht. Dass sie dennoch kommen wird, daran zweifelt jedoch niemand so wirklich - erst recht nicht hier in seinem Stammwerk. Die Entscheidungen werden zwar längst nicht mehr im ersten Stock des noch erhaltenen Backsteingebäudes mit Drehtür gefällt. Aber mal sehen...

Der erste Blick fällt beim Betreten der heiligen Defender-Hallen auf große, schwarze, stählerne Ungetüme: die vom britischen Wetter noch feuchten Fahrgestelle. Ein nett grüßender Mitarbeiter versucht sie mit Druckluft und einem Lappen ein wenig von ihren Tropfen zu befreien. Wobei im Gesicht des Putzteufels der Satz "Der wird ja eh wieder nass... und das ist noch zurückhaltend formuliert" abzulesen ist. Recht hat er natürlich. Und was er nicht trocken bekommt, wird in den kommenden 72 Stunden in diesen warmen Werkshallen sowieso von selbst trocknen. Was folgt ist die erste echte Schraubstation im Leben eines Defenders. Die auf zwei Stahl-Böcken positionierten Achsen inklusive Differentialen, Bremsanlagen und Dämpfern warten bereits. Dabei ist eines sehr schön zu sehen. Denn der hintere, gelbe Bock kann an drei unterschiedlichen Befestigungspunkten im Boden verankert werden. Warum? Ganz einfach: Hier werden drei verschiedene Radstände, sprich die drei bekannten Defenderversionen 90, 110 und 130 zusammengesetzt. Dass es nahezu unzählige, aber mindestens 53 verschiedene Varianten des Ur-Land Rovers gibt, zeigt ein gewaltiges Poster an der Werkshallenwand.

Bis zur Hochzeit, bei der der 2,2 Liter große und 122 PS starke Vierzylinder-Motorblock mit dem Fahrgestell vereint wird, sind noch ein paar Hammerschläge und lautes Krachen zu vernehmen. Hier wird noch richtig zugepackt und draufgekloppt. Frei nach dem Motto: "Was nicht passt, wird passend gemacht." Direkt nach der Hochzeit bekommt der noch ziemlich nackte Defender sein Cockpit verpasst, das auf einer parallel zum Fahrwerk verlaufenden Fertigungslinie zusammengebaut wird. Dann geht es ans Stahlkleid. Doch plötzlich dröhnt eine Sirene durch die Hallen... es ist Tea-Time! Nach wenigen Minuten stehender Bänder geht es weiter.

Das Besondere an dem stählernen Umhang eines Defenders ist, dass es an einem skelettartigen Gerüst zusammengesetzt und später mit dem Fahrwerk verbaut wird. Dabei fällt auf, dass die rund 450 Defender-Arbeiter nur selten zu Robotern oder ähnlichen Apparaturen zurückgreifen müssen. Der Bohrer wird hier noch nach Augenmaß angesetzt, so dass das gern genutzte Marketingdeutsch "Hier ist kein Exemplar wie das andere" beim Defender tatsächlich zutrifft. Natürlich ist nach fast 70 Jahren das über Generationen weitervererbte Augenmaß - Mitglieder einer Familie arbeiten bereits in der dritten Generation in diesem Werk - fast so gut wie eine vom Computer erstellte Maske, doch nur fast. Leichte Kratzspuren oder ähnliches werden hier ohne ein Wimpernzucken zur Kenntnis genommen. Denn schließlich wird ja noch lackiert.

Eine Kuriosität stellt bei all dem Zusammengehämmere, Geniete und Geschweiße die Tür eines Defenders dar. Denn die hat sich seit der Geburtsstunde kaum und seit genau einem Vierteljahrhundert gar nicht in ihren Abmessungen verändert. Soll heißen, dass ein aktueller Defender seine verkratzte oder zerbeulte Tür durch einen 25 Jahre alten Schrottplatzfund ersetzen könnte. Könnte... Denn diese Tatsache hat sich natürlich herumgesprochen. Und dass mehr als zwei Drittel aller jemals produzierten Defender noch über die Straßen und Felder rund um den Globus rollen, erhöht die Wahrscheinlichkeit auf einen Schrottplatzfund auch nicht gerade ungemein. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Feinjustierung der Türen. Wobei der Begriff fein an dieser Stelle eher scherzhaft zu verstehen ist. Denn auf dem Werkstatt-Wagen des Justierers liegen neben einem Schraubenschlüssel zwei verschieden große und beschaffene Hämmer. Zieht die Tür leicht nach links? Rumms. Fällt sie nach rechts ab? Wumms. Ob alles passt oder dicht ist, zeigt sich nur wenige Meter später in der Monsunkammer. Hier wird jeder einzelne Wagen 14 Minuten lang dem Hochdruck aus 343 Wasserdüsen ausgesetzt.

Wer jetzt glaubt, dass die Produktion eines Land Rover Defender sich seit 1948 kein Stückchen verändert hat, der irrt jedoch und wird noch in der Werkshalle eines Besseren belehrt. Denn mit einer spektakulären Installation namens Defender Celebration Line wird die erste Produktionsstraße, auf der der erste Land Rover der Serie eins entstand, gefeiert. Neben alten Fotografien und Filmen sind vor allem die die Original-Nachbauten des Ur-Land Rover zu bestaunen. "Kein anderer Hersteller weltweit verfügt über eine originalgetreue klassische Fertigungsstraße, die derart authentisch und mir solcher Liebe zum Detail nachempfunden wurde. Es hat viele Monate des Suchens, des Engagements und der Hingabe gebraucht, bis das Projekt Gestalt angenommen hatte. Aber es war jede Anstrengung wert", schwärmt Mr. Land Rover und Koordinator der Celebration Line Roger Crathorne, der erst im vergangenen Jahr seine Berufslaufbahn beim Geländebauer nach einem halben Jahrhundert beendete.

Quelle: Autoplenum, 2015-12-22

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