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Testbericht

Marcel Sommer, 8. August 2015
Der letzte Volvo mit Heckantrieb ist etwas ganz besonderes. Nicht ohne Grund steht ein 900er in den meisten Fällen nur sehr kurz zum Verkauf.

Eine Familie zu haben ist schön. Ein günstiges Auto für die ganze Familie zu finden ist nicht schön. Schon gar nicht, wenn der Vorgänger für viel weniger, als erwartet verkauft wurde und die Auflage des Familienrates heißt: "Es wird nur das Geld in den Neuen investiert, das wir für unseren Alten bekommen haben - Basta!" Na gut. Da liegen sie dann, die rund 6.500 Euro. Ach ja: "Der Neue soll ein Pferd ziehen können, groß sein, aber auf keinen Fall ein SUV und schon gar nicht aus Stuttgart." Immerhin schränkt das die Suche deutlich ein. Denn somit ist ein heißer Anwärter, ein knapp 15 Jahre altes Mercedes-Benz E-Klasse T-Modell mit gewaltigem Kofferraum schon mal aus den Rennen. Was übrig bleibt, sorgt zum einen bei einem selbst für Zähneknirschen. Zum anderen werden nur abfällige Blicke oder Kommentare wie "Der ist zu klein. Damit kann ich mich nicht sehen lassen. Oder: Der sprengt das Budget." zu hören.

Doch dann erscheint sie in voller Pracht auf irgendeiner Gebrauchtwagenseite: die automobile eierlegende Wollmilchsau. Der Volvo 940 GL, oder auch 945er genannt. Der Schwede aus der 900er-Baureihe hat demnach vier Zylinder und fünf Türen, sprich er ist ein Kombi. Und was für einer. Der Getränkeeinkauf für die große Party am Abend, der Windelnachschub einer ganzen Kita oder der frisch geschlagene Obstbaum passen selbst ohne das spielend leichte Umklappen der zweigeteilten Rücksitzbank hinten rein. 1.200 bis 2.200 Liter Kofferraumvolumen und ein Gepäcknetz aus Stahl sorgen nicht nur für ein sorgenfreies, sondern auch ein sicheres Transportieren. Zur Not ist noch eine Anhängerkupplung, ausgelegt für 1,9 Tonnen, an Bord. Der Preis für den gerne auch als Brick, also Ziegelstein genannten Volvo? Knapp 4.000 Euro. Sauber, mit dem übergebliebenen Budget wären dann schon mal die ersten Tankfüllungen auch schon bezahlt. Oder soll doch lieber in eine Gasanlage investiert werden?

Der 945er wird nicht ohne Grund in den meisten Fällen direkt nach dem Kauf gen Werkstatt pilotiert, um einen ganz bestimmten Umbau vorzunehmen. Denn nach 17.973 Kilometern selbst gefahrenen und 44 getätigten und protokollierten Tankfüllungen steht unterm Strich ein Durchschnittsverbrauch von 13,3 Litern Benzin auf 100 Kilometern. Das liest sich nicht nur hoch, das ist es auch. Die sowohl positiven als auch negativen Höhepunkte nach einer verbrauchten 75 Liter-Tankfüllung inklusive sieben Reservelitern sind ein 10,6 Liter- und 17,4 Liter-Durchschnittsverbrauch. Interessant ist die Erfahrung, dass der Spritverbrauch bei Autobahnfahrten, völlig unabhängig ob letzte Rille oder im Schwiegermutter-Transfer-Modus gefahren wird, stets zwischen elf und zwölf Litern liegt. Wird sich auf Grund einer zu geringen Jahres-Kilometerleistung gegen eine Gasanlage entschieden, können die übriggebliebenen 2.500 Euro entweder für einen Urlaub, für Sprit oder das Pferd herausgehauen werden.

Neben dem gewaltigen Kofferraum hat der Volvo 945 noch viele andere Vorteile. Einer davon ist sein Image. Ob vor der Oper, der Kita oder dem Fußballplatz - den Volvo neidet einem niemand. Gleichzeitig erfährt sein Fahrer ausnahmslos positive Kommentare, wie "Den hatte ich auch mal. Super Auto!", oder "Mehr Auto braucht doch eigentlich kein Mensch". Vor allem in letzterem Satz steckt sehr viel Wahres. Denn der Volvo 945er ist der letzte Volvo mit Heckantrieb und besitzt keinerlei Technik-Schnickschnack. Und während im Winter die halbstarken Kompaktwagenfahrer versuchen ihren Freundinnen auf dem Parkplatz vergebens einen Kreisel zu zeigen, da entweder die Form des Antriebs oder die nicht zu deaktivierende Traktionskontrolle ihnen einen zünftigen Strich durch die Rechnung machen, dreht der Volvofahrer gemütlich seine Kreise um den erröteten Möchtegern. An dieser Stelle muss natürlich gesagt werden, dass Fahrassistenten und Sicherheitsfeatures in neuen Autos durchaus ihre Berechtigung haben und die Sicherheit erhöhen. Aber, naja... ein zwanzig Jahre altes Auto, das in seinem Ursprungsland Schweden noch heute zum typischen Straßenbild gehört und über kein einziges System verfügt, das sich auf das Autofahren auswirkt, muss nicht unbedingt schlechter sein. Volvo war und ist schon immer in puncto Sicherheit Vorreiter gewesen. So darf davon ausgegangen werden, dass der 940 GL schon seiner Zeit voraus war.

Was hingegen schlecht beim 945er ist, ist seine einzige, die Fahrtüchtigkeit gefährdende Schwachstelle: seine Auspuffanlage. Allerdings muss auch hier erwähnt werden, dass nach über zwei Jahrzehnten 40 Euro für ein Wiederanschweißen durchaus in Ordnung gehen. Eine komplette Auspuffanlage ab Kat kostet inklusive Einbau rund 450 Euro. Addieren sich die Reparaturkosten für einen defekten Zündfinger und zwei Dichtungsringe hinzu, würden von den 2.500 Euro-Plus immer noch knapp 1.000 Euro übrigbleiben. Oder anders formuliert: 5,6 Jahre Kfz-Steuer inklusive, was genau 176 Euro pro Jahr entspricht. Was neben dem nach Jahren der Beanspruchung und rund 215.000 gefahrenen Kilometern zu reparierenden Auspuff noch an Unzulänglichkeiten auffällt, sind Sprünge in den Heckleuchten und sich verziehende Lederbezüge in den Türen. Das Ganze macht er jedoch mit seiner Unfähigkeit zu rosten, die er seiner an den wichtigsten Stellen verzinkten Karosserie verdankt, ganz leicht wieder wett.

Doch was hält eigentlich der junge Nachwuchs von dem neuen Familienmitglied? Kurz und pauschal gesagt, alle Kinder finden ihn super. Warum? Erstens: Durch den in der Mittelarmlehne im Fond integrierten Kindersitz ist dieser hohe Thron schon einmal für Kinder, die dem Kindersitz entwachsen sind reserviert. Zweitens: Die Fensterlinie ist so niedrig und die Fensterflächen dadurch so groß, dass das "Ich sehe was, was Du nicht siehst-Spiel" endlich mal wieder Sinn macht und nicht immer mit dem Begriff "Türverkleidung" oder "Papas Hemd" endet. Drittens: Vorausgesetzt ein gutes, portables Navigationssystem ist an Bord, werden die Kinder nur noch in den aller seltensten Fällen Zeugen von Elternstreitigkeiten. Denn eine Fahrt im 135 PS starken und 180 Kilometer pro Stunde schnellen Schweden kommt der Entdeckung der Langsam- und Gemütlichkeit gleich. Rasen ist ausgeschlossen. Die Sitze sind weicher als die heimische Couch. Und die spritverzehrende Viergang-Automatik, die die Kraft des 2,3 Liter großen Vierzylinder-Reihen-Motors des Typs B230FK an die Hinterräder dosiert schaltet so gemütlich, dass eigentlich keine Hektik aufkommen kann.

Selbst in Baustellen, wird kein "Bleib doch lieber hinter dem Lkw" zu hören sein. Mit seiner geringen Breite von nur 1,75 Meter ist er quasi wie gemacht für die linke Baustellen-Spur. Selbst ein kurzes Verfahren stellt kein Problem mehr dar. Sind die 15 Zoll großen Räder montiert bietet der 945er einen Wendekreis, der gefühlt nur noch vom aktuellen Smart unterboten werden kann. Gerüchten zufolge legt das kurveninnere Hinterrad bei einem Wendemanöver nicht einmal eine komplette Umdrehung zurück. Kein Gerücht, sondern nackte Tatsache ist seine Wartungsfreundlichkeit. Ist mal eine Birne defekt, wird kurz im Handbuch nachgeschlagen ( https://goo.gl/Mw57qj ) und selbst gewechselt. Die Batterie muss gewechselt werden? Auch hier gilt: Selbst ist der Mann. Überhaupt lässt sich dank vieler Foren im Internet in Kombination mit seiner benutzerfreundlichen Oberfläche vieles selbst in Stand halten. Im sehr übersichtlichen Motorraum sollte zudem bei jedem dritten oder vierten Tankvorgang mal kurz der rote Öl-Stab zur Kontrolle gezogen werden. Ein Liter auf 2.000 Kilometer kann es schon mal werden. Alles in allem spricht nichts gegen den Erwerb des letzten Hecktrieblers der Marke Volvo. Er ist robust, zuverlässig und darf sich überall blicken lassen. Ein echter Schwede eben.
Testwertung
4.0 von 5

Quelle: Autoplenum, 2015-08-08

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