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Testbericht

Sebastian Viehmann, 30. Oktober 2009
1985 sorgte der erste M5 für Furore. Doch schon vor 30 Jahren probierte BMW im M 535i die Formel „Familienkutsche plus Mega-Power“ aus. Wie daraus der M5 wurde und warum der frühreife Flitzer noch heute begeistert.

Wir schreiben das Jahr 1979. Ein Familienvater schmuggelt unter seiner Jacke ein kleines Heft ins Haus. Auf leisen Sohlen pirscht er sich am Zimmer seiner Tochter vorbei, die gerade einen „Atomkraft? Nein Danke!“-Sticker an die Tür klebt. Bevor ihn seine Frau abfangen und wieder davon schwärmen kann, wie praktisch und sparsam doch dieser neue Passat Diesel sei, schließt sich Papi im Hobbykeller ein und breitet das Heft vor sich aus. Dabei handelt es sich nicht etwa um den neuen Playboy, sondern einen unauffälligen Prospekt zum M 535i, einer „Spezialversion der BMW Motorsport GmbH“. Papi liest verzückt über das aus dem Renntriebwerk des M1 entwickelte Kurbelgehäuse, den Leichtmetall-Zylinderkopf, das Fünfgang-Sportgetriebe und das Sperrdifferenzial an der Hinterachse. Doch wie soll er sich im Familienrat dafür rechtfertigen, 43.595 Mark für ein Auto auszugeben – erst recht eines mit 218 PS?

1979 waren die Folgen der Ölkrisen schließlich noch allgegenwärtig, und mit jedem PS-starken Spritvernichter begaben sich die Autohersteller auf rutschiges Parkett. Kein Wunder also, dass BMW den M 535i nicht an die große Glocke hing. Trotzdem trat der Wagen eine Lawine los, die mittlerweile in der vierten Generation rollt. „Der M 535i war der Ideengeber für den M5“, sagt Gerhard Richter, ehemaliger Chef der M GmbH. Richter holte 1980 als Fahrwerks-Experte das Know-how der Motorsportabteilung in den BMW-Konzern. Im M 535i kombinierten die Ingenieure einen serienmäßigen 5er mit der stärksten Version des Reihensechszylinders, die eigentlich dem 6er und 7er vorbehalten war.

Wie perfekt diese Kombination funktionierte, kann man noch heute erfahren. Der M 535i aus BMWs Classic-Abteilung ist fast noch jungfräulich, hat kaum mehr als 2000 Kilometer auf dem Tacho. Die Rallye-Streifen in der klassischen M-Farbgebung demonstrieren: Dieser Indianer ist auf dem Kriegspfad. Ein Dreh am Zündschlüssel, und der Sechszylinder schnurrt wie ein Kätzchen. Die linke Hand umgreift das filigrane Dreispeichen-Lenkrad, die rechte liegt auf dem Schalthebel. Der erste Gang der Fünfgangbox liegt genau wie beim Mittelmotor-Sportler BMW M1 links unten.

Schon nach wenigen Kilometern wird klar, was Freude am Fahren bedeutet: 310 Newtonmeter Drehmoment treffen auf 1,4 Tonnen Auto, der Reihensechser dreht befreit und willig, eingebettet in eine herrliche Soundkulisse. Nur der Schalthebel will manchmal mit Nachdruck durch die Gasse geführt werden. Der schnelle 5er eilt mit Schwung durch die Kurven, die Lenkung ist leichtgängig und doch präzise. In 7,6 Sekunden rennt der Wagen von 0 auf 100 Km/h, Schluss ist erst bei mehr als 220 Sachen – auch wenn einem dann fast die Ohren abfliegen.

Obwohl der M 535i mit mehr als 43.000 D-Mark sündhaft teuer war – 1979 kostete der nächst schwächere 5er (528i mit 184 PS) knapp 30.000 Mark – wurden bis 1981 immerhin 1410 Exemplare gebaut. Die Kreuzung aus Familienkutsche und Sportwagen funktionierte also und machte den Weg frei für den M5. Da im M 535i bereits der stärkste Serienmotor verbaut war, musste noch mehr Power her. Im M 635 CSi feierte das Triebwerk seine Bewährungsprobe. Die Motorsport-Ingenieure kitzelten aus dem Sechszylinder 286 Pferdchen heraus. Der M5 brauchte für den Spurt von 0 auf 100 Sachen kaum 6,5 Sekunden und war rund 250 Km/h schnell.

Optisch war abgesehen von den Spoilern pures Understatement angesagt. „Mehr Wolf im Schafspelz als mit dem M5 gab es nirgends“, sagt Gerhard Richter. Er erinnert sich an die Dauererprobung auf dem Nürburgring: „Der Wagen war in Delfin-Metallic lackiert, ein Grau mit leichtem Grünstich – als wäre die Karosserie nicht schon unscheinbar genug gewesen. Die Erprobung lief damals im ganz normalen Touristen-Verkehr auf der Nordschleife. Da haben wir natürlich den ein oder anderen Porsche verblasen“, erinnert sich Richter. Schnell sprach sich herum, um was für einen Boliden es sich bei der grauen Limousinen-Maus in Wirklichkeit handelte. „Da warteten an der Streckeneinfahrt bei der Döttinger Höhe plötzlich 30 bis 40 Motorradfahrer und versuchten vergeblich, sich mit unserem Wagen auf der Nordschleife zu messen“, erzählt der M-Entwickler. Manchmal mussten die M5-Piloten sogar ihre Tests abbrechen, damit das Jagdfieber der Biker nicht zu gefährlichen Situationen führte.

Was mit dem M 535i als leise, fast schon heimlich gehandelte Option begonnen hatte, wurde für BMW schließlich zur festen Größe. Schon im Mai 1987 lief der 1000. M5 vom Band. Die Diskussionen im Familienrat freilich dürften umso schärfer ausgefallen sein: Der M5 war mit über 80.000 Mark noch viel teurer als sein frühreifer Vorläufer.

Quelle: Autoplenum, 2009-10-30

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