Der Käfer - Bj. 62, "Export", 34 PS - war mein erstes, eigenes Auto. Ich habe ihn 1971 gebraucht für 1000 Mark gekauft und schon ein halbes Jahr und 10.000 km später für 800 Mark wieder verkauft. Bis dahin hatte ich bereits unseren vierten Familien-Käfer - vom Brezel-Käfer mit 25 PS bis zum 1302 mit Halbautomatik - miterlebt und den dritten davon (einen 1300er, noch ohne "02") bereits kurz nach meinem Führerschein zu Schrott verarbeitet; davon später mehr. Ebenfalls auf der Rückbank eines Käfers durfte ich mit 16 Jahren meine erste, große Reise mitmachen: nach Griechenland. Mein Fahrschulwagen war zwar kein Käfer, sondern ein VW 1500 - aber technisch war ja auch das nur ein Käfer mit besserer Karosserie. Der Käfer war damals allgegenwärtig, man kam nicht an ihm vorbei.
Zurück zu "meinem" Käfer. Er war so wie alle: lahm, lärmig, eng, eine Straßenlage zum Fürchten, eine Heizung zum K..... - aber immerhin auch ohne Winterreifen ein gutes Winter-Auto. Das Blech rostete zwar genauso wie bei allen Autos damals schon ab Fabrik; aber bei VW war es einen Zehntel Millimeter dicker als bei den Konkurrenten und rostete deshalb erst nach 6-7 Jahren durch statt nach 5 Jahren. Aufgrund der enormen Verbreitung konnte fast jeder Dorfschmied den Käfer reparieren, wenn man mal ein Problem hatte, und billige Ersatzteile bis hin zum kompletten Motor oder Getriebe bekam man auf jedem Schrottplatz. Der Käfer war das Auto, mit dessen Kauf man "nichts falsch machen" konnte. Aber machte man jemals auch irgend etwas richtig damit?
In meinem Fall nicht: im Betrieb stellte sich sehr bald heraus, dass die Schweller durchgerostet waren. Nach jedem Regen schwappte das Wasser im Fußraum herum. Wie das im nächsten Winter werden würde, wollte ich lieber gar nicht erst ausprobieren: durch die Schweller wurde nämlich auch die eh schon karge Heizluft des luftgekühlten Motors nach vorne in den Innenraum geleitet. Mit durchgerosteten Schwellern hatte man dann Dampfschwaden statt Warmluft an der Innenseite der Frontscheibe. Aber auch schon im Sommer hatte ich ein anderes, äußerst nerviges Problem: wenn ich das Auto warmgefahren abstellte, verweigerte der Vergaser anschließend standhaft jeden neuen Startversuch. Man mußte den Motor erst 20 Minuten abkühlen lassen, dann konnte man ihn wieder starten. Das Baujahr war bekannt für diese Macke, die Werkstätten wußten da auch keine (preislich dem Wert des Autos angemessene) Abhilfe. Da das Auto auch sonst in der Gesamtheit seiner Eigenschaften nun wirklich nicht der Hit war, verkaufte ich es schnellstmöglich wieder. Und fand immerhin jemanden, der bereit war, fast nochmal denselben Preis dafür zu bezahlen: werthaltig war der Käfer auch damals schon, das mußte man ihm lassen...
Wie schon erwähnt: auch den ersten (und bis heute, nach weit über 1 Mio. km einzigen) Totalschaden habe ich bereits kurz nach dem Führerscheinerwerb mit dem 1300er Käfer meines Vaters gebaut. Damals hatte ich natürlich in mich zu gehen und die Schuld allein bei mir selber zu suchen: ich war schlicht zu schnell um die Kurve gefahren, keine Frage. Aber heute, fast 50 Jahre später, darf ich das wohl doch mal ein bißchen differenzierter sehen: einen gewissen Anteil an diesem Unfall hatte schon auch der Pendelachs-Käfer mit seinem regelrecht tückischen Fahrverhalten im Grenzbereich. Die Sturzänderungen beim Ein- und Ausfedern führten dazu, dass das Auto nicht nur ziemlich spät (dann aber blitzartig) hinten wegging, wenn man wirklich mal zu schnell war - was ja einem Fahranfänger nicht nur wegen "Raserei", sondern auch durch Fehleinschätzung des Straßenzustands leicht mal passieren kann und fast jedem irgendwann auch tatsächlich passiert. Das spezielle Problem beim Käfer war, dass dessen serienmäßige Pendelachse die Querbeschleunigung nach konsequentem Gegenlenken genauso unvermittelt blitzartig auch wieder aufbaute und sich dabei so heftig seitlich aufschaukelte, dass selbst Routiniers kaum eine Chance hatten, die darauf folgende Gegen-Schleuderbewegung samt Salto mortale seitwärts zur Kurven-Innenseite (!) hin noch abzufangen. So auch bei meinem damaligen Unfall, nach dem ich sehr bedröppelt und mit vielen blauen Flecken am ganzen Körper, aber zum Glück ansonsten unverletzt nach kurzer Ohnmacht auf dem Beifahrersitz des rundherum demolierten Käfers wieder aufwachte - Sicherheitsgurte gab's damals noch nicht. Das war ein nur allzu bekanntes, für den Käfer typisches Unfallmuster, dem viele tausend Käfer zum Opfer fielen - und auch sehr viele Menschen, die dabei weniger Dusel hatten als ich.
Ich kann heute mit Sicherheit sagen, daß dieser Unfall so mit keinem der 15 anderen Autos, die ich seither besessen habe, passiert wäre: auch nicht mit dem NSU 110, der zwar auch eine Heckschleuder war, aber dank moderner Schräglenkerachse im Grenzbereich viel besser beherrschbar und ohne die fatale Tendenz des Käfers zum seitlichen Aufschaukeln und Überschlagen.
Die damals horrend hohen Opferzahlen im Straßenverkehr (über 20.000 Tote pro Jahr in Deutschland - bei nur ein Viertel so viel Verkehr wie heute !) gingen zu einem erheblichen Teil auf das Konto der Käfer-Monokultur mit dessen miserabler, aktiver wie passiver Sicherheit: neben der durch das tückische Fahrverhalten erhöhten Gefahr, einen Unfall zu bauen, war auch die Gefahr, dabei verletzt oder getötet zu werden, im Käfer größer als in den meisten anderen Autos. Man hatte im Käfer so gut wie keine Knautschzone vor den Beinen, die gesamte Antriebsmechanik schob einen noch zusätzlich von hinten in die Aufprallzone hinein, anstatt vorne Aufprallenergie zu absorbieren, die kaum geschützte Lenksäule spießte den Fahrer schon bei relativ geringen Aufprallgeschwindigkeiten auf, und der Benzintank goss im Zweifelsfall seinen brennenden Inhalt über die Beine der vorne Sitzenden...
Man machte sich damals einfach noch keine Gedanken über die Sicherheit von Fahrzeugen: einzig der Fahrer war schuld - so die damals politisch korrekte Haltung (ja, das gab's auch damals schon, nannte sich nur noch nicht so). Geändert hat sich das erst allmählich, als in Amerika der Anwalt Ralph Nader Chevrolet erfolgreich wegen der konstruktiven Unsicherheit des Corvair ("unsafe at any speed") verklagte. Der Corvair war technisch im Grunde eine aufgeblasene Kopie des Käfers: auch Boxermotor im Heck, auch Pendelachse, nur eben viel länger, viel breiter und ein viel stärkerer 6- statt 4-Zylindermotor. Der hatte exakt dieselben Sicherheitsprobleme wie der Käfer, allerdings durch die anderen Größenverhältnisse stark abgemildert. Wenn Chevrolet zu Recht zu Schadenersatzzahlungen für diese Konstruktion (!) verurteilt wurde, dann hätte VW dasselbe eigentlich dreimal verdient; die waren nur als ausländischer Hersteller damals in den USA juristisch nicht belangbar. Immerhin hat VW daraufhin dann endlich begonnen, erst die passive Sicherheit (Lenksäulen mit Pralltöpfen und Teleskopen) und schließlich - erst ganz zu Ende der Heckmotor-Produktion in USA und Europa - auch die aktive Sicherheit mittels vernünftiger Schräglenker zu verbessern, die sie vorher nur gezwungenermaßen bei Automatik-Autos einbauten, weil da der Drehmomentwandler den für die Pendelachse benötigten Platz beanspruchte.
Der Käfer galt damals ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen als "vernünftiges" Auto - wobei die sehr erheblichen, wirtschaftlichen Folgen seiner aktiven wie passiven Unsicherheit völlig außer Acht gelassen wurden, was eigentlich wiederum höchst unvernünftig war. Dass er überdies eng, laut und lahm war, darüber waren sich eh alle Besitzer einig. Man hat ihn nicht gefahren, weil er "toll", "genial" oder sonst irgendwie begehrenswert gewesen wäre - sondern weil er damals für sehr viele Leute das einzige Auto mit halbwegs überschaubaren, gerade noch bezahlbaren Betriebskosten war. Aber auch das eben nur, solange kein Unfall damit passierte.