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Testbericht

Wolfgang Gomoll, 26. Juni 2013
Zur Feier des 100. Jahrestages des Triumphs des Alpine Trials hat Rolls-Royce eine Centenary Edition des Ghost herausgebracht. Wie schlägt sich der Original Silver Ghost im Vergleich zu dem aktuellen Modell?

Das Starten des Silver Ghost aus dem Jahr 1913 ist eine Prozedur für sich. Mit einer kleinen Kurbel dreht man so lange, bis der Motor anspringt. Doch das ist nur die halbe Arbeit. Bis der Siebenliter-Sechszylinder seine Betriebstemperatur erreicht hat, vergehen noch einige Minuten. Also muss man das Triebwerk warmlaufen lassen. Heutzutage eine Todsünde. Damit die Erwärmung des Aggregates schneller von statten geht, schiebt man zwei Bretter vor den Kühlergrill, die im Winter nicht mehr abgenommen werden. Der Ghost des Jahres 2013 ist weit weniger abenteuerlich zu starten. Ein kurzer Dreh mit dem Schlüssel und der V12 mit seinen bayerischen 570 PS erwacht sanft schnurrend zum Leben. So unterschiedlich wie das Anspringen, so verschieden sind die Motoren. Während es beim modernen Triebwerk nur so vor Rohren und Leitungen wimmelt, sind es beim Silver Ghost edle Röhren aus Kupfer, die sich um die sechs Zylinder schmiegen.

Auf der Straße setzt sich dieser ganz spezielle Handling-Unterschied weiter fort. Der "Radley-Car", wie der klassische Rolls-Royce Alpine-Trial Ghost in Insiderkreisen genannt wird, macht das Autofahren wieder zum puristischen Erlebnis. Vor allem muss man einige Gewohnheiten, die man sich im Zusammenspiel mit den Hightech-Mobilen unserer Tage angewöhnt hat, über Bord werfen. Das geht schon bei den durchgängig analogen Instrumenten los, die sich fast alle im Fußraum des Autos befinden und eher aus Kapitän Nemos Nautilus stammen könnten. Man sitzt, nein man thront, in klassischer Kleidung mit Schläger-Käppi und Staubmantel versteht sich, wie auf einem edlen Fuhrwerk. Nur das vorne kein Sechsspänner für Vortrieb sorgt, sondern eben ein großvolumiger Sechszylinder. Angefahren wird im zweiten Gang. Drehzahlen? Unnötig. Natürlich gibt es keine Lenkkraftverstärkung. Doch Kurvenfahren artet in keine großartige Kurbelei aus. Grund sind die extrem dünnen Reifen.

Das Bewegen des hundertjährigen Gesellen hat etwas Erhabenes. Eine Aura, die es so heute nicht mehr gibt. Der 50 PS-Motor schnurrt gemütlich vor sich hin und dennoch sind Höchstgeschwindigkeiten jenseits der 100 Stundenkilometer drin. Doch in dem hellblauen Klassiker entschleunigt man sich sehr schnell. Dahingleiten und die Landschaft genießen. Ein weiteres Abenteuer ist das Schalten und das Bremsen. Beide Vorgänge sind nämlich miteinander verbunden, da der Silver Ghost keine Bremsen an den Vorderreifen und hinten nur Trommeln hat, die mit dem Wagen ihre liebe Mühe und Not haben. Hauptsächlich verzögert wird mit der Handbremse außen am Wagen, die mit der rechten Hand betätigt wird. Tritt man die Kupplung, wird eine weitere Bremse aktiviert, die für die feine Dosierung reicht.

Will man den einen Gang einlegen, muss man einen kleinen Hebel am Gangstock ziehen. Die riesige Kupplung selbst ist mit einem groben sehr widerstandsfähigen Stoff bezogen. Im Gegensatz zum Modell des Jahres 1912 mit dem James Radley am Katschbergpass scheiterte, verfügt der Alpine-Trail-Ghost-1913 über vier besser gespreizte auch kürzer übersetzte Gänge. Die sich ganz konventionell einlegen lasse: Kupplungspedal drücken, Hebel am Gangstock ziehen und letzteren in die entsprechende Gasse der H-Viergangschaltung legen. Das war\\\'s.

Diese Prozedur ist beim modernen Rolls-Royce Ghost natürlich perdu. Wie beim Urahnen sorgt ein ZF-Getriebe für passenden Vortrieb. Allerdings mit doppelt so viel Gängen. Und das erledigt die Automatik so sanft und angemessen, wie man es eben von einem Rolls-Royce erwartet. Auch die Instrumente sind freilich komplett anders. Man muss gar nicht so genau hinschauen, um die Verwandtschaft mit dem BMW Siebener zu erkennen. Das geht beim Display in der Mittelkonsole los, setzt sich bei der Navi-Software und der an das iDrive angelehnte Menüführung fort und endet bei den schicken durchsichtigen Plexiglas-Favoritentasten. Die Verarbeitung des Interieurs, die feinen Materialien sind typisch Rolls-Royce. Dass der Motor ebenfalls aus München stammt, mag den eingefleischten "The-Times-Leser" über die vergangene Pracht des Empire und den Verlust britischer Status-Symbole, wie eben Rolls-Royce, lamentieren lassen, aber ein Nachteil ist das sicher nicht. Im Gegenteil: Die 570-PS-starke Bayern-Power schiebt den gut 2,4 Tonnen schweren Briten genauso kräftig nach vorne, wie er es mit einem Siebener BMW macht.

Die Kernkompetenz des Rolls-Royce Ghost des Jahres 2013 ähnelt der seines Vorfahren, mit dem er sich auch die herrlich abgefahrene hellblaue Farbe teilt: Das elegante mühelose Vorankommen. "Effortless Driving", wie es die Engländer so treffend nennen. Geht es um schnelle Kurven, schaut die Sache schon etwas anders aus. Da bremsen deutlich spürbare Wank und Rollbewegungen den Vorwärtsdrang des 5,40 Meter langen Luxusdampfers. Einen großen Unterschied gibt es aber zwischen den beiden Brüdern: Der moderne Ghost versenkt die Spirit-of-Ectasy Statue auf Knopfdruck im Kühlergrill, damit Souvenirjäger nicht zugreifen können. Apropos zuschlagen: Der moderne Ghost ist ab 265.000 Euro zu haben, sein Urahn dürfte mehrere Millionen wert sein.

Quelle: Autoplenum, 2013-06-26

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