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Testbericht

Stefan Grundhoff, 26. April 2017
Viel zu tun haben die 14 Experten im Mercedes Classic Center Fellbach das ganze Jahr über. Doch in den Wochen vor der Mille Miglia geht es noch etwas turbulenter zu.

Wenn der Termin der Mille Miglia, die jedes Jahr Ende Mai ausgefahren wird, näher rückt, ist es mit dem gewohnten Arbeitsrhythmus vorbei und bei der Schlagzahl werden an der Stuttgarter Straße zwei Schippen aufgelegt. Schließlich lassen viele Mille-Miglia-Teilnehmer zum Saisonhöhepunkt ihre Flügeltürer und Vorkriegsmodelle noch einmal technisch auf den neusten Stand bringen. 1.700 Kilometer im Renntempo durch die stimmungsvollere Nordhälfte Italiens sind für die Fahrzeuge keine Wochenendausfahrt und bei der "Mille" will jeder glänzen - optisch wie technisch.

Doch im Classic Center geht es um weit mehr als die Vorbereitung zur Mille Miglia. Die Hebebühnen in der Werkstatt sind allesamt gefüllt und überhaupt hat man den Gedanken, dass Platz hier in der Halle echte Mangelware ist. Gerade ziehen zwei Monteure auf einer portablen Bühne eine Pagode in die hintere Ecke. Der schwarze 230 SL ist fertig und kann abgeholt werden. Waren es vor Jahren in erster Linie Eigentümer von Sternenlegenden wie Mercedes 300 SL, 600er oder der seltenen Vorkriegsmodelle wie SS oder SSK, die ihre Schmuckstücke in Fellbach warten ließen, so nehmen jüngere SL und S-Klassen zu. "Die Pagoden sind stark im Kommen", sagt der Leiter des Classic Centers Klaus Reichert, "hier gibt es mittlerweile auch eine größere Nachfrage nach Werksrestaurierungen wie allgemein bei den SL. Viele kaufen auf dem freien Markt vermeintlich gut erhaltene Modelle und erschrecken sich hinterher, wenn sie von uns eine ehrliche Meinung bekommen." Somit sind die Klassikexperten von Daimler nicht nur automobile Traumdeuter, denn bei der genaueren Durchsicht eines Modells zerplatzt der Traum vom Oldtimerschnäppchen.

Im schlimmsten Fall kommt der neue Eigentümer um eine Werksrestaurierung nicht herum. Doch einige Daimler-Fans wollen ihrem Liebling nach Jahrzehnten auch etwas Gutes tun und investieren deshalb in eine komplette Restaurierung. Die kostet viel Zeit und jede Menge Geld. "Eine komplette Werksrestaurierung liebt bei rund 500.000 Euro und dauert zwei Jahre. Ein Flügeltürer kostet schnell sogar 650.000 Euro", erklärt Projektleiter Andreas Häberle, "man könnte das auch in etwas mehr als einem Jahr durchboxen, aber wenn es perfekt sein soll, braucht es mit Rohkarosse und allem Drum und Dran eben einfach seine Zeit." Die haben die Eigentümer des ungewöhnlichen Mercedes 450 SEL in auffallend kräftigen Mittelblaumetallic scheinbar. Der Wagen aus dem diplomatischen Dienst in Frankreich, der auf dem freien Oldtimermarkt kaum mehr als 10.000 bis 15.000 Euro bringen dürfte, wird in den nächsten zwei Jahren in Fellbach auf Neuzustand gebracht. "Das ist ein eher ungewöhnliches Projekt", räumt Klaus Reichert an, "aber seine Eigentümer haben oft Fahrzeuge bei uns und wollen den W 116er eben wieder wie neu haben." Noch steht das mittelblaue Fahrzeug mit französischem Kennzeichen im Vorraum der Werkstatt. Nicht nur die Farbe hebt es ab. Nebenan parken 300 SL Roadster, Luxuscabrios der Baureihe W 111 und ein spektakulär gut erhaltener Mercedes 600 der Baureihe W 100.

Die deutsche Staatslimousine wurde 1979 für Mercedes-Benz gebaut und bis heute nie zugelassen. In den ersten zwei Jahren nutzte Mercedes-Benz diesen 600 als Chauffeurlimousine für Veranstaltungen und bewegte es dabei ausschließlich mit militärischen Sonderkennzeichen. 1981 verkaufte Mercedes-Benz das Fahrzeug an einen ihrer besten Kunden, einen Autohändler in der Nähe von Stuttgart. Der Eigentümer des Autohauses kaufte das Fahrzeug mit 54.500 km und lagerte es fachgerecht in seinem eigenen Showroom. "Die Kunden haben sich im Laufe der Jahre durchaus geändert" erklärt Klaus Reichert, Leiter Mercedes Benz Classic Center, als er durch die Eingangshalle seiner Traumfabrik schreitet, "Originalität geht heute über alles. Das war nicht immer so."

Auch wenn Pagoden vom Typ W 113 oder der klassische 107er mittlerweile in Wert und Arbeitsnachfrage im Fellbacher Classic Center steigen; das Gros machen nach wie vor Luxusmodelle wie der Flügeltürer oder die W-100-Staatslimousine aus. "Ein Mercedes 600 ist technisch durchaus kompliziert", sagt sein Experte Andreas Häberle, "das Auto ist komplex und das ist bekannt. Die meisten kommen daher gleich zu uns. Genau wie beim 300 SL." Wie nebenbei verweist er darauf, dass der Staatslimousine, bis 1991 auch Repräsentationsfahrzeug der deutschen Bundesregierung, auf dem freien Markt nach wie vor zu günstig sei - gemessen an Technik und Exklusivität. Der schwarze 600er, der vom Mercedes Museum aktuell zum Verkauf steht, kostet knapp 550.000 Euro. Generell spürt auch das Stuttgarter Classic Center einen Trend, der auf Versteigerungen und Oldtimerevents auf der ganzen Welt zu sehen ist. "Die Nachfrage nach Vorkriegsmodellen geht eindeutig zurück", so Klassik-Chef Klaus Reichert. "das merken auch wir."

Doch wenn einmal ein Modell wie der Daimler 1910 zu Besuch in die Werkstatt kommt, ist die ohnehin spannende Arbeit der Spezialisten noch etwas spannender als sonst. Das Luxusmodell aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts bietet mit Lederkotflügeln und Fußbodenheizung für die Fondpassagiere ungewöhnlichen Luxus. Abgase erwärmten durch ein Rohrsystem den Unterboden. Ob es für den seltenen Daimler 1910 noch Ersatzteile gibt, darf bezweifelt werden, doch sonst gibt es fast nichts, das nicht besorgt werden kann. "In unserem Teilecenter in Germersheim gibt es 52.000 Ersatzteile - unzählige davon nur für die Klassiker", so Klassikexperte Andreas Häberle. Teile, die nicht mehr verfügbar sind, können in Originalqualität nachproduziert werden. Schwerpunkt bei Nachfertigungen und Wiederauflagen sind dabei zumeist sicherheits- und fahrrelevante Teile. Wenn möglich, übernimmt der ursprüngliche Serienlieferant die erneute Produktion, alternativ stehen jedoch mehr als 150 Zulieferer bereit. Die Träume sollen schließlich am Leben erhalten werden - fahrend. "Denn vom rumstehen wird kein Auto besser - die Wagen müssen bewegt werden", schließt Klaus Richert ab. Passt ja - ist ja bald Mille Miglia.

Quelle: Autoplenum, 2017-04-26

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